Amnion 4: Chaos und Ordnung
passiert?«
Die Frage entrang sich ihm mit der Plötzlichkeit eines Aufschreis. »Läßt du jetzt hier vor meinen Augen die Nase hängen, weil du daran denkst, daß du ihn nie wiedersiehst?«
Damit schockierte er sie. Zu unvermutet, als daß sie sich hätte beherrschen können, geriet sie in helle Rage, entzündete sich der dürftige Zunder ihrer Seele zu flammendem Widerspruch. Zuviel Leid hatte er ihr zugefügt, zu lange, viel zu lange, so daß sie geglaubt hatte, er richtete sie ganz und gar zugrunde. Ein Weh so heiß wie Schmelzmasse durchgloste sie.
»Auf ihn abgesehen?« schrie sie in sein aufgedunsenes Gesicht und seine gelblichen Augen. »Du glaubst, ich hätt’s auf ihn abgesehen gehabt? Hältst du mich für ausgerastet? Ich hatte nie ein Auge auf ihn geworfen. Der Tod wäre mir lieber gewesen!«
Bei ihrem Auffahren ruckte Vector im Sessel herum, und sogar Davies hob den Blick, starrte herüber. Aber sie achtete nicht auf die beiden.
»Ich hatte es auf nichts anderes abgesehen«, schleuderte sie Angus entgegen, als wären ihre Worte Messer, die ihn verletzen konnten, »ich wollte nie etwas anderes als irgend jemanden, der mir dabei hilft, dir zu entkommen!«
Schlagartig verstummte sie. Angus schockierte sie ein zweites Mal. Statt fortzuschauen oder zurückzuschrecken oder seinerseits eine wütende Antwort zu geben –, betrachtete er sie lediglich, und währenddessen breitete sich auf seiner Visage ein Grinsen aus, als ginge dank ihrer Äußerungen in seinem Herzen die Sonne auf. »Ist das wahr?« fragte er erstaunt. »Ist das dein Ernst?«
»Männer waren für mich ’n Anlaß zum Kotzen geworden«, stieß Morn hervor, als erbräche sie bittere Säure. »Alles Männliche hat mich angeekelt. Aber Nick war der einzige Kerl, der den Eindruck erweckte, als hätte er gegen dich eine Chance.«
Angus grinste weiter. Langsam verfiel er in Gekicher, das sich anhörte wie eine unzulänglich justierte Turbine.
»Scheiße, Morn. Wäre mir das klar gewesen, hätte ich nicht soviel Zeit damit vergeudet, mir zu wünschen, daß er verreckt.«
Das war zuviel für sie. Abscheu wühlte sie auf, durchwallte sie, so frisch wie zu der Zeit, als er sie zum erstenmal erniedrigt hatte. Am liebsten hätte sie ihm bei lebendigem Leibe die Haut abgezogen, sich blutig für das Elend, das er ihr zugemutet hatte, schadlos gehalten.
»Natürlich.« Sie bemühte sich darum, ihrer Stimme einen gehässigen Ton zu verleihen, um ihn nicht weniger zu kränken, als er ihr an Kränkung zumutete. »Natürlich, du Scheißkerl. Dir ist es gleich, was aus Sib wird. Dich schert es nicht, was für ein Typ Nick war. Dich kümmert’s nicht, wem er was und wie angetan hat oder welche Folgen es hatte. Du interessierst dich nur für deine Einbildung, ich hätte es statt auf dich auf ihn abgesehen gehabt.«
Angus schüttelte den Kopf. Allmählich versiegte seine abartige Erheiterung; die Beglückung wich aus seiner Miene. Morns Vorhaltungen mußten ihn getroffen haben. »Vielleicht ist es wahr«, gestand er zu. Allerdings hatte es den Anschein, als schmerzte ihn diese Einlassung. Morns heftige Kritik weckte wieder seinen gewohnten Ingrimm. »Aber es kann sein, es ist längst unerheblich. Inzwischen bin ich eine Maschine.«
Seine Stimme hatte die vorherige, alte Grobheit zurückerlangt. »Eine scheißige, elende Maschine. Mehr nicht. Warden Dios befiehlt mir, was ich tun soll, und ich tu’s. Ab und zu zieht er die Drähte. Manchmal darf ich eigene Entschlüsse fassen. Öfters kann ich das eine nicht vom anderen unterscheiden. Zum Teufel, was erwartest du denn, worum ich mich noch scheren soll?«
»Du bist ungerecht zu ihm«, mischte Davies sich unvermutet ein. Trotz seiner Jugend klang seine Stimme so streng, wie Morn es von ihrem Vater, wenn durch ihn ein Verweis ausgesprochen worden war, in Erinnerung hatte. »Er hat dich bei den Amnion rausgehauen. Und seitdem steht er auf unserer Seite. Soweit Nick es zuließ. Ohne ihn wären wir alle tot. Was willst du denn mehr?«
Wutentbrannt wirbelte Morn zu ihrem Sohn herum. Er hatte zu große Ähnlichkeit mit Angus, zu männlich war er und zu kriegerisch: er hatte kein Recht, ihr irgend etwas vorzuwerfen.
»›Bryony Hylands Tochter‹«, zitierte sie ihn in schneidendem Ton. »›Die Tochter, die sie hatte‹, bevor ich meine Seele den Amnion verkauft habe… Das Unschuldslamm.« Die Tochter, die Nick Succorso und die Sturmvogel dermaßen haßte, daß sie deswegen Sib Mackern in den Tod gehen
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