Amnion 4: Chaos und Ordnung
ließ. »Ich will, daß du dir darüber Gedanken machst, was du anstellst. Ich will, daß du dich vorher fragst, welchen Preis es fordert.«
Anscheinend blieb Davies unbeeindruckt. Er schrie nicht, legte es auf kein Wortgefecht an; er hob nicht einmal die Stimme. »Du hast keine Ahnung, welchen Preis es mich kostet.«
Morn vermochte nicht zurückzustecken: zu gewaltig war ihr Zorn. »Ich werde dir sagen, wovon ich keine Ahnung habe. Ich habe keine Ahnung, wieso du eigentlich soviel Selbstmitleid mit dir hast. Und ich möchte es auch gar nicht wissen. Es interessiert mich nicht. Ob dir’s paßt oder nicht, dein Leben verdankst du mir. Und seither habe ich dich am Leben gehalten.« Angus hatte Davies nur befreit, um ihn bei den Amnion gegen sie einzutauschen. »Wenn du nicht darüber reden magst, was dich so wurmt, dann unterlaß es wenigstens, mir Vorschriften zu machen!«
Damit brachte sie ihn auf. In plötzlicher, äußerster Erbitterung drehte er sich ihr zu, in der Miene einen Ausdruck, der finsterster Haß hätte sein können. »Ich habe meinen Vater getötet!« schrie er, indem er sich gegen die Gurte stemmte. »Meine ganze Familie hab ich ausgerottet! Das Universum hat zu mir gesprochen, und ich habe ihm gehorcht. Mit eigener Hand habe ich’s getan. Und dabei bin nicht einmal ich es gewesen! Ich existiere gar nicht. Ich bin bloß dein Abklatsch!«
Dann sank seine Stimme zu einem gedämpften Knurren herab. »Ich muß die Sorte Polizist werden, die du hättest sein sollen. Und du hast keine Ahnung« – er wiederholte die Behauptung –, »welchen Preis es mich kostet.«
So wirksam wie Löschschaum erstickte er Morns glühende Erregung, ihr Verlangen nach Angus’ Blut verflog. Er hatte recht: sie ahnte nicht im geringsten, was es ihm abrang. Und sie wußte nicht, was Hashi Lebwohl und die VMKP-DA Angus zugefügt hatte; keine Vorstellung davon, wie sehr er dabei gelitten haben mochte. Sie beide, weder Davies noch Angus, harten ihre selbstgerechte Entrüstung verdient.
Doch ohne sie blieb ihr nichts anderes als Scham.
»Ihr habt recht.« Sie konnte Davies nicht mehr in die Augen blicken; und genausowenig Angus. »Es tut mir leid. Der Entzug hat schuld… Ich weiß nicht, wie ich ihn aushalten soll.«
»Hör mal«, sagte Vector gelassen, »vielleicht können wir eine Kat-Dosierung herausfinden, die dich schützt, ohne daß du schläfst. Wenn wir richtig titrieren.«
Morn schwieg dazu. Sie meinte den Entzug der künstlichen Stimulation durch das Zonenimplantat. Gleichzeitig aber auch den Entzug der Fähigkeit, ihre Grenzen zu überschreiten, sich über ihre Mängel zu erheben; und gegen diesen Verlust half kein Medikament.
Angus kreuzte durch den Asteroidenschwarm, so ruhig es sich durchführen ließ. Anhand der von Beckmann gelieferten Karte, den von der Kommunikationszentrale übermittelten Flugdaten und den weitreichenden Sensoren der Posaune fand er Wege durch die Wirrnis des Gesteins, die keine hastigen Kursänderungen erforderten, keine überstürzten Ausweichmanöver. Mit relativ sanftem Schuh schwenkte der Interspatium-Scout mal zur einen, mal zur anderen Seite, flog zum dichten Innenbereich des Asteroidenschwarms hinaus.
G zog Morn in jede erdenkliche Richtung. Ihre Füße schwebten vom Deck empor; langsam bog ihr Körper sich nach dieser oder jener Richtung. Doch der Andruck bedeutete für sie keine Bedrohung. Sie hatte eine Hand am G-Haltegriff und behielt so ihre Bewegungen genügend in der Gewalt, um nicht gegen ein Schott zu prallen.
Angus hätte sie zu ihrer Sicherheit von der Brücke schicken können; oder um die Posaune vor dem zu schützen, was sie womöglich tat, wenn das Hyperspatium-Syndrom sie befiel. Statt dessen beugte er auf andere Weise dagegen vor. Unter diesen Umständen durfte sie es sich erlauben, noch eine Zeitlang zu warten.
In vergleichbarer Art, wie sie sich an den Haltegriff klammerte, so krallte sie sich geistig an die Brücke, benutzte ihre Gegenwart am Mittelpunkt der Entscheidungen und des Handelns, um sich der Drangsal zu erwehren, die ihr Herz mit Beklommenheit erfüllte.
Am Kontrollpult des Ersten Offiziers betätigte Davies sich wie ein Besessener, übte und verbesserte seine Bedienung der Waffensysteme des Interspatium-Scouts.
Ohne ein einziges Mal von dem Haltegriff abzulassen, besah sich Morn die Daten, die er auf die Monitoren projizierte, und bei dieser Gelegenheit fühlte sie sich von der Vielseitigkeit und Machtfülle der Waffen überwältigt, mit
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