Amnion 4: Chaos und Ordnung
Eine Person, die wie ein Illegaler dachte, nicht wie ein Astro-Schnäpper. »Und gleichzeitig das Valdor-System kennt. Scheißkapitän Schluckorso hat seine Chance gehabt. Aber du brauchst den Dienst erst anzutreten, wenn wir bereit zum Abflug sind. Wenn du dich jetzt nicht ausruhst, bleibst du anschließend viel zu lang übermüdet. Melde dich in sechseinhalb Stunden, dann hast du noch genug Zeit, um dich in deine Konsole einzuarbeiten. Bis dahin laß dich auf der Brücke nicht blicken.«
Mikka nickte. Ihr finsteres Stirnrunzeln war durch einen versonneneren Gesichtsausdruck abgelöst worden; beinahe eine Miene der Ratlosigkeit. Einige Augenblicke lang schaute sie zwischen Angus und Morn hin und her wie eine Frau, die ihre Optionen einzuschätzen versucht; dann schnitt sie eine Grimasse des Mißvergnügens.
»Nichts von alldem ist irgendwie begreiflich«, sagte sie zu Angus. »Das wissen Sie bestimmt selber.« In ihrem Ton schwang keine Herausforderung mit. »Mir ist wie jemandem zumute, hinter dessen Rücken mitten im Spiel plötzlich die Regeln geändert worden sind. Wann haben Sie sich in jemanden verwandelt, den’s schert, ob die Menschheit ein Immunitätsserum hat oder nicht? Sie behaupten, Sie arbeiten für Hashi Lebwohl. Hat er Sie zu einem anderen Menschen gemacht? Sie haben Davies und Morn befreit. Wir sind durch Sie gerettet worden. Ich möchte Ihnen gerne vertrauen. Ich weiß bloß nicht wie.«
Angus knurrte tief in der Kehle, gab aber keine Antwort.
»Hast du was dagegen«, fragte Mikka daraufhin Morn, »mit ihm allein zu bleiben?«
Morns Augen funkelten auf wie aus Zorn oder Panik; sie wirkte, als hätte sie gern entgegnet: Bist du verrückt? Natürlich habe ich was dagegen. Doch aus irgendeinem Grund schüttelte sie nur den Kopf. »Wenn er mich umbringen will«, meinte sie leise, »braucht er mich nur anzufassen. Aber vorher muß ich noch mit ihm reden.«
Vielleicht dachte Mikka jetzt ihrerseits, Morn wäre verrückt. Trotzdem zuckte sie die Achseln. »Ich lasse meine Kabinentür offen«, kündete sie an, während sie sich zum Aufgang entfernte. »Wenn du rufst, höre ich dich.«
Morn schaute Mikka nach, als nähme sie allen Mut, der ihr hätte dienlich sein können, mit sich von der Brücke.
Beim Anblick ihres Zustands litt Angus. Es hatte ihm einmal säuisch behagt, sie in dieser Verfassung zu sehen; ihr Grausen und Ekel hatten ihm gefallen, weil sie ihm bestätigten, daß er sie völlig in der Hand hielt. Oder zumindest hatte er geglaubt, es bereitete ihm Lust; sich eingeredet, es zu glauben. Inzwischen waren diese Empfindungen verflogen; sie kamen nicht mehr auf. Mittlerweile hatte er bei Morn ein Übermaß an Hilflosigkeit erleben müssen. Sein eigener Kopf glich einem so grauenhaften und unentfliehbaren Ort wie jenem Kinderbett, in dem seine Mutter ihm Schmerzen zugefügt hatte… Heute war die Kluft zwischen seinen und fremden Bedürfnissen genau so groß wie damals. Deshalb wirkten Morns Furcht und Haß auf ihn geradeso wie die Schäden der Strahlenden Schönheit: sie bestätigten nichts außer der Tatsache seines Versagens.
Sich dafür zu entscheiden, mit ihm auf der Brücke allein zu bleiben, mußte einer der schwersten Entschlüsse sein, zu dem sie sich je durchgerungen hatte.
»Verschwinde von meinem Sitz«, fuhr er sie an, als ob er ihr durch einen Platzwechsel das Leid, nach dem er früher aus ganzem Herzen gelechzt hatte, ersparen könnte.
Sie regte sich nicht. Als Mikka das obere Ende des Aufgangs erreichte und durch die Konnexblende außer Sicht entschwand, heftete Morn den Blick auf Angus, ließ ihn mit aller Schonungslosigkeit die ganze Tiefe ihres Abscheus erkennen. Aber als hätte sie ihn nicht gehört, tat sie nicht, was er verlangte.
»Mikka hat recht«, konstatierte sie mit harscher Stimme, als kostete es sie alle Mühe, die Ruhe zu bewahren. Trotzdem behielt sie einen maßvollen Ton bei. »All das ergibt einfach keinen Sinn. Was du treibst, ergibt keinen Sinn. Aber ich will von dir gar keine Erklärungen. Deine Beweggründe scheren mich nicht. Am wenigsten lege ich darauf Wert, dir Vertrauen zu schenken. Mich interessieren ausschließlich deine Handlungen.«
»Danke.« Aus Verzweiflung äffte Angus die auch für ihn verkraftbarere Dankbarkeit Vectors nach.
Morn musterte ihn mit der gleichen kaltblütigen Entschlossenheit, die ihr Vater empfunden haben mußte, während die Stellar Regent die Strahlende Schönheit jagte; seine Zielverfolgung die Strahlende
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