Amnion 4: Chaos und Ordnung
dir einbildest, ich wäre gleichfalls so ’ne Pappnase wie diese Gestalten hier geworden, benutzt du wohl dein Arschloch als Gehirn.«
»Wie du willst.« Weil er seines Vaters Sohn war, begegnete Davies Angus’ Zorn mit einem harten Grinsen. »Und du benutzt deine Eier. Zum Glück ist das der einzige Teil von dir, dem ich traue.«
Beifällig kicherte Nick.
»Eines ist noch zu regeln«, unterbrach Vector die Konfrontation. Unverändert glomm Eifer in seinen Augen; doch inzwischen hatte er seine normale Gelassenheit zurückgewonnen. »Ich brauche das Mittel.« Morn schwieg. Vielleicht konnte sie im Moment nicht sprechen. Trotzdem senkte sie die Hände vom Gesicht, hob den Blick. Einen Moment lang suchte sie in ihren Taschen, bis sie drei kleine, graue Kapseln in der Handfläche liegen hatte. Sie reichte sie Vector.
Er nahm sie nahezu ehrfürchtig entgegen, als wüßte er, was sie für Morn bedeuteten.
»Aber du hast nicht alle an dich gebracht«, bemerkte Vector seelenruhig. »Sonst wäre Nick ihr Fehlen aufgefallen. Ihm wäre klar geworden, daß nur du sie haben kannst. Nick…«
»Nick muß den Rest haben«, beendete Davies an Vectors Stelle den Satz.
Plötzlich erinnerte Sib sich daran, daß er die Pistole auf Nick gerichtet halten mußte.
Alle auf der Brücke schauten Nik an. Er betrachtete vor sich das Deck, ignorierte die Blicke der Anwesenden.
»Gib die Kapseln raus, Nick«, verlangte Angus.
Nick tat, als wäre er taub.
Davies setzte sich in Bewegung, aber Angus kam ihm zuvor. Zwei rasche Schritte, und er stand dicht vor Nick.
»Ich spare es mir, dich zu warnen«, knirschte Angus. »Wenn du jetzt noch ’ne Warnung brauchst, bist du zu dumm zum Leben.«
Nick besah sich das Deck, als amüsierte ihn die Art, wie man die Platten verschweißt hatte. Er machte keine Anstalten zur Gegenwehr – reagierte überhaupt nicht –, als Angus die Finger nacheinander in sämtliche seiner Taschen schob, bis er das Fläschchen mit den Kapseln fand.
»Brav, sehr brav.« Angus warf das Fläschchen Vector zu. »Morgen bringe ich dir bei, wie man Männchen macht.«
Vector öffnete das Fläschchen, sah sich den Inhalt an, füllte dann die von Morn ausgehändigten Kapseln hinein. »Ob das alle sind, weiß ich nicht«, sagte er, »aber sie müßten genügen.« Sein Lächeln wirkte wehmütig, als spürte er den summierten Kummer all der vergeudeten Jahre. »Falls es mir mißlingt, anhand so einer Probe die Formel zu entdecken, bleibe ich lieber Techniker.«
Nicks Narben hatten die Färbung kalter Asche angenommen; am Rand seiner Wange zuckte ein Tic. Dennoch hob er die Augen nicht vom Deck.
Davies, der ihn beobachtete, war sich absolut sicher: Nick sann auf Mord.
ANGUS
Am liebsten hätte Angus sich einfach aufs Deck gehockt und den Kopf in die Hände gestützt. Ausschließlich dank seiner Zonenimplantate blieb er auf den Beinen, hatte es den Schein, er hätte sich vollauf in der Gewalt. Hätten sie nicht mitten während der streßintensiven Konfrontation mit Morn ihre Emissionen erhöht, wäre er längst zusammengeklappt.
Er konnte nicht glauben, was geschah.
Hatte er soeben eingewilligt, Vector Shaheed zu einem Laboratorium im Sonnensystem des Kosmo-Industriezentrums Valdor zu fliegen? Dort war er noch nie gewesen; er wußte darüber nicht mehr, als seine internen Datenspeicher enthielten. Und wegen nichts als einer beschissen dämlichen humanitären Geste? Der Art, wie er früher mit Weicheiern umgesprungen war, sah so etwas überhaupt nicht ähnlich. Es hatte keinerlei Ähnlichkeit damit, was er früher von solchen Leuten gehalten, mit der Weise, wie er sie stets für seine Zwecke eingespannt hatte. In dieser Beziehung blickte er im Zusammenhang mit der Angewohnheit, solches Lumpengeschmeiß für seine moralische Überlegenheit büßen zu lassen, auf eine lange, erschreckende Vorgeschichte zurück.
Tatsächlich hatte er mit einer Aktion dieses Stils einen seiner größten Triumphe erzielt. Er hatte ein Raumschiff namens Süße Träume buchstäblich intakt gekapert und gegen das Wissen, wie man Data-Nuklei manipulierte, die Crew an die Amnion verkauft; es hatte ihn nicht mehr Aufwand als einen vorgetäuschten Notruf und ein paar Leichen gekostet, dem Kapitän vorzuspiegeln, er befände sich in Schwierigkeiten – mit anderen Worten, nichts als den Appell ans weiche Herz des Kapitäns.
Was stimmte nicht mit ihm?
Es mußte an der Programmierung liegen: Dios oder Lebwohl zog wieder an den Drähten.
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