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Amnion 4: Chaos und Ordnung

Amnion 4: Chaos und Ordnung

Titel: Amnion 4: Chaos und Ordnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen R. Donaldson
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hinaus.
    »Und wie fühlst du dich dabei«, erwiderte er, »das Hyperspatium-Syndrom zu haben? Ein Zonenimplantat im Kopf stecken haben zu müssen, um nicht bei Hoch-G-Belastung total durchzudrehen und jeden in deiner Umgebung zu killen?«
    Morn seufzte. »So schlimm ist es?« Die Frage mochte Verständnis oder Unverständnis ausdrücken; Angus konnte es nicht unterscheiden. Dennoch war ihm, als hörte er aus ihrer nächsten Äußerung ein leises Lächeln. »Dann sind wir wohl beide in ziemlich übler Verfassung.«
    Im Augenwinkel sah er, daß sie sich abwandte. Doch er schaute ihr nicht nach, während sie die Hände aufs Geländer des Aufgangs legte und die Brücke verließ. Längst war es zu spät.
    Was für ein Gefühl ist es, daß du einen Sohn hast?
    Sie hätte ihm diese Frage nicht stellen, diese Tür nicht öffnen sollen. Ihm wurde zumute, als engten ihn von neuem die Gitterstäbe des Kinderbetts ein, bannten ihn an die Stätte des Grauens. Sein Lebtag hatte er damit zugebracht, vor dieser Erinnerung zu fliehen, davor kopfüber durch Raum und Zeit zu flüchten. Jeder seiner Gewaltakte, jede von ihm verübte Schandtat, jede seiner destruktiven Handlungen hatte nichts anderes als eine Flucht konstituiert: ein Versuch, sich die eigene Furcht vom Leib zu halten, indem er anderen Menschen Furcht einjagte, eine Bemühung, die Vergangenheit in Schach zu halten, indem er Gegenwärtiges auslöschte. Und jetzt hatte Morn über die Kluft der Jahre und Verbrechen hinweg alles transformiert und servierte es ihm wie eine Rechnung.
    Sobald die Vergangenheit ihn einholte, war er erledigt.
    Aufhören! schrie er stumm. Damit muß Schluß sein!
    Aber hier blieben Warden Dios’ unerläuterte Überzeugungen und ambivalenten Bestrebungen irrelevant. Trotz aller Gebote und Zwänge, die der Interncomputer Angus aufnötigte, bedeutete er für ihn in dieser Beziehung keine Hilfe. Auf die physischen Symptome der Panik reagierten sie, indem sie ihn beruhigten. Dadurch trugen sie unbeabsichtigt zur Unterminierung genau der Schutzmöglichkeiten bei, die er am dringendsten brauchte.
    Gefangener im Rumpf der Posaune und im eigenen Schädel, lag er in seinem Kinderbett…
    … die mageren Hände und Füße ans Bettgestell gebunden…
    … während seine Mutter ihm Schmerzen zufügte…
    Sie war, so wie Angus, ein durch und durch ratloses Geschöpf gewesen. So wie später ihr Sohn hatte sie geglaubt, weder bei dem, was mit ihr geschah, noch in bezug auf das, was sie selbst tat, irgendeine Wahl zu haben.
    Unerwünscht war sie als Kind eines Gossengang-Pärchens in einem der im Niedergang befindlichen großstädtischen Ballungszentren der Erde zur Welt gekommen. Natürlich brachten ihre Eltern ihr nicht die geringste Zuneigung entgegen; und wie man es von einem so jungen Elternpaar wohl erwarten mußte, ließ es sie vom Tag der Geburt an ihre Unerwünschtheit spüren. Allerdings merkten ihre Eltern bald, daß ein Kind einige nützliche Nebeneffekte hatte. Es gab ihnen ein Druckmittel in die Hand, um Hilfe einzufordern oder Kredits abzuschwatzen; oder ein Versteck zu verlangen. Und es fungierte als Mittel der Erpressung gegenüber der im Zerfall begriffenen sozialen Infrastruktur, die sich trotz allem noch abmühte – so illusorisch und halsstarrig wie die meisten Bürokratien –, dem Bodensatz der Gesellschaft wenigstens ein Mindestmaß an Fürsorge zuzuschanzen. Sie war kein Kind, sondern nur ein Werkzeug. Ihre Eltern – und später die gesamte Gossengang – behandelten sie wie ein Werkzeug. Sie befaßten sich mit ihr, sobald sie sie brauchten, aber stießen sie beiseite, wenn sie von ihr keinen Nutzen hatten.
    So blieb es, bis sie alt genug war, um auf andere, lustbetontere Art nützlich zu sein. Von da an gab man sich häufiger mit ihr ab und schob sie seltener ins Abseits. Eine Verbesserung bedeutete dieser Wandel für sie indes nicht. Sie wuchs als geistig beschränkte Analphabetin auf; stets war sie schmutzig und krank. Als sie zwölf war, hatte ihr Dasein für sie selbst schon keinen Sinn mehr.
    Dann wurde die Gossengang, der ihre Eltern angehörten, im Rahmen eines Machtkampfs von einer Konkurrenz-Gossengang massakriert.
    Wie andere Frauen in anderen scheußlichen Kriegen überlebte sie nur als Beutestück.
    Als Beute machte sie mit etwas Bekanntschaft, das man früher umständlich als ›Mehrfachvergewaltigung‹ bezeichnet hatte und heute ›Multiorgi‹ nannte. Immerhin konnte die Vergewaltigung durch mehrere Personen als

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