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Amnion 4: Chaos und Ordnung

Amnion 4: Chaos und Ordnung

Titel: Amnion 4: Chaos und Ordnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen R. Donaldson
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einseitiger Orgiasmus verstanden werden. Allmählich entwickelte sich über die Zwischenvokabeln ›Multiorgiasmus‹ und ›Multiorgie‹ die Kurzform ›Multiorgi‹. In der Gossengang, die die vorherige Bande ersetzte, harte sie viele Multiorgis durchzustehen.
    Das hätte sie ihr Leben kosten können; es sie vielleicht kosten müssen. Aber es kam nicht so. Wegen ihrer Kontakte zur Wohlfahrtsstaat-Infrastruktur hielt die Gossengang sie am Leben. Und die Fürsorge tat das gleiche, weil sie nach wie vor ihre Aufgabe zu erfüllen versuchte. Nach einer dieser Multiorgis wurde sie schwanger; dadurch erhöhte sich der Umfang an Unterstützung, die ihr angedieh. Als Akt der Gewissensbeschwichtigung, als Methode initiiert – aus längst vergessenen Gründen – durch seit langem verstorbene Männer und Frauen, bewilligte der Wohlfahrtsstaat ihr als Wohnraum ein kleines Zimmer, diverse Naturalien und ein paar Kindermöbel. Aber Hoffnung konnte die Bürokratie ihr nicht frei Haus liefern; und alle sonstigen Vorteile, die sich daraus hätten ergeben können, erstickte die Gossengang.
    Irgendwann im Laufe der Zeit glitt sie unwiderruflich in den Wahnsinn ab.
    Alles was sie hatte, war der kleine Angus.
    Gleichzeitig verkörperte er das einzige Ventil ihres dem Irrsinn verfallenen Innenlebens. Allein mit ihm in ihrem Zimmer, fing sie, während sie auf die nächste Multiorgi und den Tod wartete, mit dem Rondo der Mißhandlung und der Tröstung zu experimentieren an, das sich Angus’ Gedächtnis als Erinnerung ans Kinderbett einprägte.
    Auf ihre abwegige Weise empfand sie, nachdem sie ihn gequält hatte, tatsächlich den aufrichtigen Drang, ihn zu trösten. Seinem kleinen Leib schien eine Kapazität zu nahezu grenzenloser Schmerzensfülle innezuwohnen; sein wildes Geschrei und das rote Gesicht der Pein verursachten ihr einen beträchtlichen Kitzel, der ihr Schuldgefühle verursachte und sie doch zur Wiederholung trieb. Und wenn sie ihn in den Armen wiegte, auf ihn eingurrte, seine Beschwerden linderte, als wäre er es, den sie liebte, fühlte es sich für sie an wie die Zuwendung, die sie immer aus ganzem Herzen ersehnt, aber nie genossen hatte.
    Bei Angus hingegen trat eine vollkommen andere Wirkung ein.
    Die Konsequenzen begleiteten ihn überall, egal wohin er floh. Diesem Quell entsprangen sein Widerwille gegen Externaktivitäten sowie sein Grausen vor dem Eingesperrtsein. Doch je angestrengter er vor dem Vergangenen zu flüchten versuchte, um so zäher klebte das an ihm, dem zu entgehen er sich bemühte. Seit er sich der Gossengang und seiner Mutter entzogen hatte, war er mit ebenso kompromiß- wie trostloser Hartnäckigkeit – geradeso unbewußt und selbstzerstörerisch wie ein Verwünschter – darauf erpicht gewesen, das Aussehen stumpfsinniger Verzweiflung, das er von ihr kannte, jemand anderem aufzuzwingen. Solange er nichts anderes anstrebte, als das Blatt zu wenden – mit ihr die Rolle zu tauschen –, blieb er ihr Opfer.
    Jetzt endlich hatte allem Anschein nach die Logik seines Lebens blindwaltend ihren Abschluß gefunden, ihre unausweichliche Sackgasse. Seine Opferrolle war vollendet. Gerade als vorprogrammierte Anforderungen und apparativer Zwang ihren Griff um sein Bewußtsein lockerten, mußte er feststellen, daß Morn die Macht dazu hatte, ihn zurück ins Kinderbett zu schicken. Seine Bemühungen, mit ihr die Rolle zu tauschen, waren gescheitert: sie blieb ihm überlegen. Und er konnte dem nicht abhelfen. Nicht einmal die ihr gegebenen Versprechen vermochte er einzuhalten. Die Leute, die seinen Interncomputer programmiert hatten, duldeten es nicht.
    Zugriffscode Isaak! schrie er in den Abgrund seiner Datenspeicher-Schnittstelle. Prioritätscode Gabriel! Sagt mir, daß Schluß ist! Sagt mir, was ich tun muß. Erlaubt mir, sie wenigstens zu warnen. Laßt nicht zu, daß ich es bin, der sie hintergeht.
    Das Schweigen, das ihm antwortete, klang wie das abartige, übergeschnappte Gelächter seiner Mutter.
    Auf der Brücke allein, bettete Angus Thermopyle den Kopf auf die Kommandokonsole und wartete darauf, daß Warden Dios oder Hashi Lebwohl seinen Untergang herbeiführte.
    Natürlich bewirkten sie seinen Untergang nicht, indem sie ihn liquidierten oder umkommen ließen. Dafür ging ihre Gemeinheit zu weit, war ihre Falschheit zu groß. Sie verfolgten ihre Zwecke auf andere Weisen.
    Angus’ Data-Nukleus behielt die ihm bestimmte Zukunft für sich; er gestattete ihm nur Einsicht in neue Informationen, wenn er sie

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