Amnion 4: Chaos und Ordnung
für die unmittelbare Gegenwart brauchte. Darum konnte er die verschiedenerlei Wege, auf denen seine Herren ihn dem endgültigen Verhängnis näherbrachten, nicht absehen, bevor die Maßnahmen in Kraft traten, die ihn zwangen, sie zu beschreiten.
Doch als die Posaune ihr Startfenster in den Human-Kosmos erreichte, war davon noch nichts ersichtlich geworden. Die Zonenimplantate hatten seine Verzweiflung durch ein paar Stunden Schlaf und einen Abstecher in die Kombüse unterbrochen, wo er etwas essen konnte; anschließend hatte er seine Meldung ans VMKP-HQ formuliert und verschlüsselt. Außer einer Beschreibung des Resultats seiner Aktion und dem Hinweis auf Milos Taverners Verrat fügte er die Informationen hinzu, deren Übermittlung Morn gewünscht hatte. Die Angelegenheiten, die sie verschwiegen haben wollte, hatte er weggelassen. Der Funkspruch konnte abgesetzt werden, sobald die Posaune in die Reichweite eines Lauschpostens gelangte.
Während der Interspatium-Scout das Rund des Roten Riesen umflog und sich dem Startfenster näherte, rief Mikka Vasaczk die Brücke an und gab Angus durch, sie befände sich unterwegs zum Kommandomodul. Angus teilte der übrigen Crew per bordinternem Rundruf mit, daß sonst niemand sich auf der Brücke zeigen dürfte. Vor allem wollte er Nick nicht im Raumschiff umherlaufen haben. Aber genausowenig Morn: er befahl Davies, bei ihr zu bleiben, damit er auf sie achtgeben könnte, sollten nach dem Hyperspatium-Sprung Umstände entstehen, unter denen die Posaune Hoch-G-Manöver fliegen mußte. Wäre Mikka nicht zur Lenkung des Schiffs unentbehrlich gewesen, hätte er auch sie von der Brücke gewiesen.
Sie kam mit zwei Antigrav-Thermoskannen Kaffee. Eine Kanne händigte sie Angus aus, dann setzte sie sich auf den Platz des Ersten Offiziers und schnallte sich an. Etwas von der Verkniffenheit war aus ihrer Miene gewichen. Sie lächelte nicht, wirkte jedoch immerhin wie eine Frau, für die ein Lächeln nichts Unmögliches mehr darstellte. Anscheinend war sie froh darüber, sich nützlich machen zu können.
»Was soll ich übernehmen?« erkundigte sie sich, nachdem sie einen Moment lang ihre Konsole betrachtet hatte.
»Zielverfolgung und -erfassung«, lautete Angus’ barsche Antwort. Inzwischen hatte er schon einige der codierten Restriktionen ihrer Konsole storniert. »Was Scanning, Datensysteme und Astrogation angeht, habe ich unsere beiden Konsolen tandemisiert. Ich möchte, daß du, solange wir nicht in Schwierigkeiten geraten, Zielrichtung und Entfernungen fürs Valdor-System ausrechnest. Projiziere den Kurs auf den Hauptbildschirm. Ich will ihn fortlaufend aktualisiert haben. Ich verlasse mich darauf, daß du Abstand von Weltraumstationen und den meistbenutzten Flugrouten hältst. Wir suchen ein Schwarzlabor, kein Gefecht mit ’m paranoiden Erzfrachterkapitän.«
Mikka nickte. Anfangs langsam, nach und nach jedoch mit mehr Zutrauen, tippte sie Befehle in die Tastatur. Schon nach Sekunden erschienen auf dem Großbildschirm die Grundzüge eines Makrodiagramms. Zwischen dem Roten Riesen und Massif 5 entstand eine rein hypothetische direkte Linie. Während der Vervollständigung des Makrodiagramms wurden reihenweise Entfernungsangaben hinzugefügt. Doch die direkte Linie blieb ausschließlich hypothetischer Art, weil sie keine Gravitationsquellen, dazwischenliegenden Objekte und nicht die Interspatiumkapazitäten der Posaune berücksichtigten.
Angus hatte die Zahlen längst in seinem Interncomputer durchgerechnet, sie anhand der in dessen Datenspeichern enthaltenen Werte verifiziert. Er ließ Mikka die Berechnungen nur anstellen, um sich einen Eindruck von ihrer Kompetenz zu verschaffen.
Sie fand jetzt die erste Gelegenheit, sich ein Bild vom Leistungsvermögen des Interspatium-Scouts zu machen. Zwar wußte sie schon genug, um zu erraten, wie weit das Raumschiff in der Tach gelangen konnte; aber wie zuvor Nick überraschte sie die Schub-Masse-Relation der Posaune. Danach wandte sie sich – sie arbeitete nun schneller – wieder der Kursprojektion zu. An die Stelle des Makrodiagramms trat eine der Realität näherkommende Verbindungslinie. »In diese Zielrichtung haben wir ein Startfenster in siebenundzwanzig Minuten«, sagte Mikka zu Angus, ohne den Blick von den Tasten zu heben. »Bei momentaner Geschwindigkeit können wir mit jedem Überwechseln in die Tach sechs Komma zwo Lichtjahre zurücklegen. Das ist gut, dann können wir nämlich die Umgebung der KombiMontan-Station und
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