Amnion 4: Chaos und Ordnung
rief die junge Frau an den Kommunikationsanlagen. »Wir haben den Kurs so korrigiert, daß uns ein Funkfenster offenstehen bleibt. Verzögerung drei Sekunden für beide Strecken.«
Min nickte beifällig. Sie verließ Dolphs Seite und schritt durch die Krümmung der Brücke zu den Kommunikatoren.
Erwartungsvoll blickte Cray ihr entgegen, als ahnte sie Mins Absicht. Vielleicht weil sie jünger war, erweckte sie keinen ganz so mitgenommenen Eindruck wie die restlichen Diensthabenden.
»Wie ist der Status?« wünschte Min zu erfahren.
Sofort tippte Cray Befehle ein. »Wird geprüft, Sir.«
Drei Sekunden Verzögerung für beide Strecken, dachte Min. 450.000 km.
Aus unerfindlichen Ursachen kribbelte in ihren Handtellern ein Vorgefühl kommender Katastrophen.
»Der Lauschposten ist in Bereitschaft, Sir«, meldete Cray. »Dem Logbuch zufolge…« – vor Verblüffung stockte sie kurz – »… hat er vor knapp über acht Stunden eine Kurierdrohne ans VMKP-HQ expediert. Gegenwärtig ist er ausschließlich auf Empfang. Wartet.«
Die Posaune? Ist es wirklich die Posaune?
»Das Schiff hat dem HQ ’ne Nachricht geschickt«, bemerkte Dolph, als spräche er mit keiner bestimmten Person. »Jetzt wartet es auf Antwort.« Sein Ton klang nach einem Achselzucken. »Also kann es nicht gewußt haben, daß wir hier aufkreuzen.«
Bestand die Möglichkeit, daß Angus Thermopyle dort das weiteren harrte, sich mit den Asteroiden treiben ließ, sich zu einem wehrlosen Opfer machte? Min erforschte ihr Gedächtnis nach Einzelheiten seiner cyborgischen Programmierung; nach dem, was Hashi Lebwohl auszuplaudern beliebt hatte. Falls Milos Taverner Verrat verübt hatte, waren Josuas Prioritätscodes automatisch gewechselt worden. Doch aufgrund der Annahme, daß ein Verrat Taverners sekundäre Risiken für jeden, der mit dem Cyborg zu tun bekam, zur Folge haben mußte, enthielten Angus Thermopyles Instruktionen für diesen Fall das Verbot einer Rückkehr zum VMKP-HQ beziehungsweise zur Erde.
Wie hatten Hashi Lebwohls Erläuterungen gelautet? Unter pragmatischen Gesichtspunkten sei es selbst für eine moderne Programmierung ausgeschlossen, jede erdenkliche Eventualität zu berücksichtigen. Deshalb müßten zwangsläufig Diskrepanzen entstehen zwischen dem, was Angus tun konnte, und dem, was er tun mußte. Und indem immer mehr Zeit verstrich, stets mehr Ereignisse geschahen, wuchs die Gefahr solcher Diskrepanzen in exponentiellem Maßstab. Damit stieg die Wahrscheinlichkeit, daß Programmunstimmigkeiten Angus zu irgendeiner perversen Methode des Suizids zwangen, gerade wenn er bei der Ausführung seines Auftrags dicht vor dem Erfolg stehen mochte.
Neben sonstigen Gründen brauchte er auch darum einen Begleiter, der ihn an der Leine behielt; an seinen Instruktionen die jeweils erforderlichen Modifikationen vornahm. Aber falls Taverner inzwischen zum Verräter geworden war, befand Angus Thermopyle sich in gewissem Umfang außer Kontrolle.
Im Interesse seines Durchkommens und des Erfolgs seines Auftrags mußte er erheblichen Handlungsspielraum haben. Allerdings erhöhte jede Handlungsfreiheit seine Gefährlichkeit.
Darum verlangte sein Data-Nukleus von ihm für den Fall eines Wechsels der Prioritätscodes das Absenden einer Meldung; schrieb er ihm vor, der Erde und dem VMKP-HQ fernzubleiben; gestattete er es ihm, aus eigener Entscheidung alles zu tun, um sich und das Raumschiff zu schützen, bis jemand, für den sich die Möglichkeit ergab, ihn seiner Kontrolle zu unterwerfen, neue Prioritätscodes aktivieren konnte.
»Kopieren Sie die Nachricht«, befahl Min rauh. Ihr Gaumen schmeckte nach Bitterkeit. »Ich will wissen, wie sie lautet.«
»Aye, Sir.« Tasten klapperten, während Cray gehorchte.
Vier Sekunden später wurde sie blaß beim Anblick der ihren Anzeigen zu entnehmenden Antwort.
»Zugriff verweigert«, meldete sie mit zaghafter Stimme. »Der Text ist ausschließlich für die Abteilung Datenakquisition codiert. Für Direktor Lebwohl.«
Hashi, du miese Ratte! schimpfte Min bei sich. Was ist das nun wieder für eine Schweinerei?
»Der gute, alte Hashi«, murmelte Dolph sardonisch. »Ich mochte ihn schon immer gut leiden.«
Jahrelange Erfahrung hatte bei Min die Fähigkeit entwickelt, auch von der verkehrten Seite auf einer Tastatur zu tippen. Ihre Finger flitzten über die Tasten. Dann trat sie beiseite. »Benutzen Sie diese Codes«, sagte sie zur Funkoffizierin. »Korrektursteuern Sie die Zugriffssperre. Korrektursteuern Sie
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