Amnion 4: Chaos und Ordnung
haben Direktor Lebwohl und ich die Sache nicht wie dumme Jungs angepackt. Uns war völlig klar, daß man Taverner nicht trauen durfte. Und wir wußten, daß wir unmöglich alles voraussehen konnte, was Josua bevorstand. Hätten wir seinem Programm Instruktionssets eingeschrieben, durch die er in jeder Situation vollkommen unter unserer Kontrolle geblieben wäre, hätte ihn jedes ungeahnte Problem handlungsunfähig machen oder das Leben kosten können. Deshalb haben wir ihm alternative Prioritätscodes installiert, von denen Taverner nichts wußte, und im Programm für den Fall, daß Taverner ihn hintergeht, ihre automatische Aktivierung eingeplant. Dabei galt es zu berücksichtigen, daß die Umstände schlimmer als erwartet sind, falls die alternativen Prioritätscodes in Kraft treten. Verrat erhöht die Gefahr in einem Maß, das sich nicht vorausberechnen läßt. Und ohne Taverners Aufsicht könnte Josua Entscheidungen treffen, die das Risiko vervielfachen. Uns war einsichtig, daß wir ihn dann unmöglich zurückkehren lassen durften. Man konnte nicht absehen, was für Unheil er auf uns zöge, ehe es zu spät gewesen wäre. Diese Unwägbarkeiten haben Direktor Lebwohl und ich ausgeglichen, indem wir seinem Data-Nukleus gewisse Sicherheitsvorkehrungen einschrieben. Im Fall eines Verrats gebietet die Programmierung Thermopyle, eine Meldung zu funken, ein Peilsignal zu aktivieren, damit wir ihn finden können, und auf der Flucht zu bleiben. Das eigene Leben zu retten, bis wir entschieden haben, was aus ihm werden soll. Dadurch sind wir gegen unerwünschte Konsequenzen geschützt und können ermitteln, was überhaupt passiert, ehe wir endgültige Festlegungen treffen. Tja, und genau so ist es gekommen. Milos Taverner ist ihm in den Rücken gefallen. Die neuen Prioritätscodes sind gültig. Thermopyles Meldung und das Peilsignal sind untrügliche Beweise. Jetzt ist er auf der Flucht, weil wir ihn dahingehend programmiert haben. Und er hat Amnion auf der Hatz im Nacken, weil er von uns in einen übleren Schlamassel geschickt worden ist, als wir vermuteten.«
Habe Überlebende des Raumschiffs Käptens Liebchen an Bord…
Warden schwieg für einen Moment, verschränkte die Arme fester. Er hatte für diese Krise vorausgeplant, sie herbeigesehnt; sich gründlich vorbereitet. Nun mußte er sie durchstehen.
»Es ist eine ganze Anzahl Leute in dem Schiff«, ergänzte er zielbewußt seine Darlegungen.
»›Leute‹?« unterbrach ihn Fasner. »Was für ›Leute‹?« Andeutungen infraroten Glosens züngelten in seiner Kirlian-Aura. »Daraus sollte doch wohl kein Passagierflug werden.«
Jetzt, dachte Warden, zwang sich zu äußerster Gefaßtheit. Jetzt ist es soweit.
»Nick Succorso«, antwortete er so gelassen, als blickte er nicht dem Verhängnis ins Auge, »und vier seiner Besatzungsmitglieder. Mikka und Ciro Vasaczk, Sib Mackern und Vector Shaheed.«
Fast hoffte er, daß der Drache Shaheeds Namen erkannte. Die Folgen wären unerfreulich; doch zumindest würde Fasner abgelenkt.
Unglücklicherweise konzentrierte er sich zu angestrengt, um sich auf das enzyklopädische Wissen über seine Feinde zu besinnen.
»Und natürlich Josua selbst«, stellte Warden fest, als hätte er nur gezögert, um zu schlucken. »Ferner Morn Hyland. Und ein Junge namens Davies Hyland.«
Der Köder.
Doch ebensogut mochte Holt Fasner den letzten Namen nicht gehört haben. Schon war er aufgesprungen, verfiel in Geschrei.
»Morn Hyland?!« Seine Fäuste schwangen vor Warden Dios’ Gesicht durch die Luft; Flecken sprenkelten seine Wangen, als drohte ihm ein Schlaganfall. »Sie gottverdammter Halunke! Sie haben Josua beauftragt, Morn Hyland zu retten?!«
»Nein, das habe ich nicht«, widersprach Warden mit Nachdruck; log ihm ins Gesicht.
»Wollen Sie mir weismachen, er hätte gegen seine Programmierung verstoßen?« brauste Fasner auf. »Er ist ein Cyborg! Sie haben mir versichert, er könnte nichts anstellen, auf was er nicht programmiert wäre. Und Sie haben ausdrücklich betont, er sei nicht auf ihre Rettung programmiert.«
»Er war’s nicht.« Holt Fasners Wut erleichterte es Warden, die Beherrschung zu wahren. Trotzdem sparte er sich die Mühe, den eigenen Ärger zu verbergen. Er verabscheute Lügen, selbst den Mann zu belügen, den er als den ärgsten Verräter an der Menschheit betrachtete, war ihm zuwider. »Allerdings ist er auch nicht darauf programmiert worden, sie zu liquidieren. Härten Sie es so gewünscht, wäre es sinnvoll
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