Amnion 5: Heute sterben alle Götter
überzeugt. Auch Mikka glaubte an die Wirksamkeit des Mittels.
Für Ciro stand außer Frage, daß er es besser wußte.
Ich soll den Antrieb sabotieren. Beide Antriebe, hatte Sorus Chatelaine klargestellt. Du hast ’ne Technikerausbildung. Du verstehst dich darauf… Du garantierst, daß die Posaune mir nicht davonfliegt… Wenn sie nicht abhauen kann, ist sie geliefert.
In seiner Kabine jedoch, praktisch Gefangener seiner Schwester, konnte er nichts als warten.
Zwölf Stunden. Hast du meinen Auftrag in zwölf Stunden nicht ausgeführt, hatte Chatelaine ihn gewarnt, mußt du zusehen, was aus dir wird. Mehr Zeit hatte sie ihm nicht zugestanden. Und es blieb ihm nur noch ein Teil dieser Frist. Jedesmal wenn die Einnahme einer weiteren Kapsel fällig war, entwand er sich Mikka und ging in die Hygienezelle, schluckte dort im geheimen die nächste Dosis des zeitweiligen Gegenmittels. Dafür brachte er genügend Entschlossenheit auf; doch das Maß, wie der Vorrat dahinschwand, erinnerte ihn schonungslos daran, daß die Gnadenfrist ablief.
War es schon zu spät? Er konnte es nicht beurteilen. Plötzlich hatte die Posaune ein Gefecht austragen müssen, und es war ihm unmöglich geworden, den Anti-G-Kokon zu verlassen, egal, ob er Chatelaine gehorchen wollte oder mußte. Das Knistern der Materiekanone, das metallische Getöse der Treffer und das Dröhnen überlasteten Materials hallten durchs gesamte Raumschiff. Beschleunigungsdruck warf den Interspatium-Scout von einer zur anderen Seite. Ein Gefecht mitten im Asteroidenschwarm glich einem navigatorischen Alptraum. Nach den Geräuschen und dem Andruck geurteilt, mußte es in diesem Fall sogar noch schlimmer sein. Der krasse, unnachvollziehbare Wechsel von Stille und Gewalt vermittelte das Empfinden, als ob die Posaune gegen mehr als einen Widersacher kämpfte; Gegner aus mehreren Richtungen des Asteroidenschwarms abzuwehren hatte.
Stimmen aus dem Interkom-Apparat boten teilweise Erklärungen, aber Ciro schenkte ihnen keine Beachtung. Solange sie Mikka nicht zum Gehen bewegen, waren sie für ihn ohne Belang.
Einmal erfolgte eine so extreme G-Belastung des Raumschiffs, daß ihm die Sinne schwanden. Er wußte nicht mehr, vor welcher Notwendigkeit er stand, oder warum ihr solche Wichtigkeit beigemessen werden mußte. Tod und Vergehen erfüllten seinen Geist mit letzter, vollkommener Erlösung.
Schon hatte er gedacht, der Kelch ginge an ihm vorüber.
Doch natürlich nahm der Andruck wieder ab. Schub röhrte durch die Triebwerke, aber die G-Werte verringerten sich auf erträglicheren Umfang. Neben ihm in der Koje kehrte auch Mikka die Besinnung zurück. Trotz ihrer Erschöpfung und des angeknacksten Schädels war sie in jeder Lebenslage stärker als ihr Bruder.
»Scheiße«, raunte sie ihm gedämpft zu, als fürchtete sie sich davor, die Stimme zu heben. »Was war denn bloß jetzt los?«
Ciro hatte keine Ahnung. Er begriff nicht einmal, warum sich Mikka die Mühe machte, ihn danach zu fragen.
Minuten verstrichen. Oder vielleicht verstrichen sie nicht; vielleicht fielen sie zu Boden und blieben dort liegen, geschwollen wie Tumoren, verquollen von Mutation. War es Zeit für die nächste Kapsel? Hatte seine Bewußtlosigkeit so lange gedauert? Nein. Ähnlich wie das Hyperspatium täuschte auch das Dunkel einer durch zu hohe G-Belastung verursachten Ohnmacht Riesenhaftigkeit vor, beanspruchte jedoch kaum Zeit. Andernfalls hätte es ihm die Barmherzigkeit erwiesen, ihn zu töten.
Wollte Mikka ihn zwingen, hilflos bis zum Ende zu leiden? Konnte sie so grausam sein? Ja, sie konnte es. Obwohl sie seine Schwester war; obgleich sie als letzten überlebenden Familienangehörigen nur noch ihn hatte. Er wäre, hätten sie sich in vertauschter Situation befunden, nachsichtiger mit ihr umgesprungen.
»Mikka?« tönte unerwartet und mit Anklängen der Verzweiflung Davies’ Stimme aus dem Interkom-Lautsprecher. »Mikka? Hörst du mich? Ich brauche deine Hilfe.«
Als er die Eindringlichkeit in Davies’ Tonfall hörte, durchfuhr Hoffnung Ciros Herz. Unversehens versprach er sich davon die Gelegenheit, die zu nutzen Sorus Chatelaine von ihm forderte.
»Und sag mir nicht, du könntest Ciro nicht sich selbst überlassen!« schnauzte Davies, als wollte er Ciro noch stärker ermutigen. »Er kann bei allem Selbstmitleid ruhig mal ’ne Zeitlang für sich allein bleiben. Es ist nötig, daß du hier anpackst. Ich bin im Moment völlig auf mich gestellt.«
Mikka verkrampfte sich; sie
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