Amnion 5: Heute sterben alle Götter
gelesen.« Ihr Tonfall wurde weinerlich. »Hat lange gedauert. War meine letzte Hoffnung.« Sie ließ den Stummel der Nik fallen und zündete sich die nächste an. »Aber es war nichts daraus zu ersehen, was wir nicht längst wußten. Alts Retinae-Bilddateien sind nicht über Imposs’ Daten geschrieben worden. Nichts ist gefälscht worden. Es ist nicht Imposs’ Id-Plakette. Es ist ’ne neue Plakette. Gewissermaßen eine authentische Fälschung, so beschaffen, daß sie wie seine Plakette aussieht. Nur gibt sie Alt als ihn aus.«
Zwischen zwei Herzschlägen beschleunigte sich Hashi Lebwohls Puls. Eine neue Plakette. Erregung durchpochte seinen Blutstrom wie frische Hoffnung. Eine ›authentische Fälschung‹. Darauf war er von Harbinger schon einmal hingewiesen worden; doch beim erstenmal hatte er die Bedeutung nicht verstanden. Nun beflügelte sie ihn merklich.
»Aber das hat auch keinerlei Beweiskraft«, erklärte Lane Harbinger. »Den Urhebern müssen Mittel zur Verfügung stehen, für die die Transnationalen Terratreuen zum Morden bereit wären. Sie fallen als Schuldige aus. Aber das wissen Sie ja auch schon.«
Sie sprach, als wäre sie am Ende ihrer Kräfte. »Ich habe Ihnen nichts vorzulegen«, sagte sie. »Wir müssen die Herkunft des Chips aufklären.«
Vielleicht hätte Hashi Lebwohl seine Fassade der Ehrlichkeit noch ein Weilchen länger beibehalten sollen. Aber in gewissem Umfang hatte er Lane Harbingers Kummer schon vergessen. Die Aufregung drängte ihn zu anderen Überlegungen. Unbewußt zerrte er die Brille aus der Tasche, setzte sie energisch zurück auf die Nase.
»Dann werden wir genau das tun«, rief er wie ein wohlwollender Onkel.
Seine plötzliche Bekundung der Zuversicht mußte auf sie wohl wie Selbstgefälligkeit und Herablassung wirken. Sie zuckte zusammen, als hätte er ihr eine heruntergehauen, prallte so vehement zurück, daß sie fast den Stuhl umkippte. Dann schlug ihre Verzweiflung in dermaßen heftige Wut um, daß Hashi Lebwohl nachgerade aus der Fassung geriet.
Sie sprang auf ihn zu, krallte die Fäuste in den Revers seines Laborkittels; schubste ihn rückwärts.
»Glauben Sie etwa, das hätte ich nicht versucht?!« schrie sie in seine erstaunte Miene. »Mein Gott, was glauben Sie denn, womit ich mich die ganze Zeit hier abgebe, während Sie umherflitzen, allen zulächeln und so tun, als ob Sie alles wüßten?« Sobald sie ihn an die Wand gedrängt hatte, hielt sie ihn dort fest. »Was glauben Sie, weshalb es mir schier das Herz zerreißt?«
Verwirrt zwinkerte Hashi Lebwohl sie an. »Sie meinen, Sie konnten die Seriennummer des Chips nicht feststellen?«
»Der Überrest ist viel zu winzig, verdammt noch mal!« schnauzte Lane Harbinger. »Hab ich’s Ihnen nicht gesagt?! Hätten Sie ihn in Mund, könnten Sie ihn nicht einmal mit der Zunge ertasten. Er hat keine Zu- und Ableitung, gottverfluchte Scheiße, und keine Seriennummer! Ich kann keine Beweise finden, die nicht da sind!«
Plötzlich verstand Direktor Lebwohl sie.
Er unternahm keine körperliche Anstrengung, um sich ihrem Griff zu entwinden; das war überflüssig. »Verzeihen Sie, Lane«, bat er statt dessen leise und in freundlichem Ton. »Sie sprechen von dem KMOS-SAD-Chip-Rest aus Godsen Friks Büro. An dem konnten Sie keine Seriennummer mehr finden. Darüber bin ich mir völlig im klaren. Was ich meine, ist Kapitän Alts Id-Plakette.«
Harbinger sackte der Unterkiefer nach unten. Es kostete sie sichtlich Mühe, den Mund zu schließen. Ihr Atem war ein stoßweises Keuchen. Kaum wurde ihr bewußt, was sie tat, ließ sie ihn los, ging auf Abstand.
»Also wirklich, Direktor Lebwohl«, schnaufte sie. »Natürlich habe ich die Herkunft recherchiert. Völlig blöd bin ich ja nicht. Aber dieser Chip beweist auch nichts.« Allmählich mäßigte sich ihre Atmung. »Er gehörte zu einer Routinelieferung, die vor drei Wochen der VMK-GD-Betriebsschutz erhielt. Man könnte sagen, denke ich mir, das ist belastend. Denn wie kommt ein KMOS-SAD-Chip des VMK-GD-BS in eine Id-Plakette des EKRK-Schutzdienstes? Nur ist’s kein Beweis. Es zeigt lediglich, daß in der VMK-GD die Sicherheit unter Schlamperei leidet, sonst nichts. Bloß wußten wir das auch schon.«
»Lane, Lane…« Großmütig wehrte Lebwohl mit den Armen ab, als müßte er Beschwichtigung nach allen Seiten ausstreuen. »Wie erwähnt, Beweise sind eine problematische Sache. Hätten Sie sich die richtige Frage gestellt, könnten Sie sehen, daß Sie schon auf den
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