Amnion 5: Heute sterben alle Götter
Dios ist wohl endlich zufrieden, wenn er Fasner verhaftet hat. Aber was ist mit Morn? Was wird aus ihr?«
Angetrieben durch ruhelosen Drang zum Handeln, gab Angus dem Medi-Computer den Befehl zum Entfernen der Schläuche aus Mikka Vasaczks Arm ein und schnallte sie los, so daß sie frei überm Behandlungstisch schwebte. Er hegte die feste Überzeugung, daß Dios keine Absicht hatte, den Drachen lediglich zu verhaften.
»Wenn Morn nicht aufpaßt«, antwortete Angus, »läßt Direktorin Donner wahrscheinlich zu ihren Ehren ’n Standbild errichten, und dann muß bestimmt jeder Scheißbulle wenigstens einmal im Leben hinpilgern und der Statue die Füße küssen. Ich nehme an, es wird Morn so gut gehen, daß sie nicht weiß, was sie mit sich anfangen soll.«
Einen Moment später nickte Davies ein zweites Mal. Anscheinend hatte er nach wie vor Vertrauen zur OA-Direktorin.
Angus hingegen nicht. Er zweifelte zwar keineswegs an, daß sie Morn und Davies nicht nur zu Ehren verhalf, sondern auch die Bereitschaft aufbrachte, beide mit dem eigenen Leben zu schützen. Ihm gegenüber erwies sie sich möglicherweise aber weniger großzügig. Er konnte sich ohne weiteres vorstellen, daß sie ihn einbunkerte wie einen riskant gewordenen Atomreaktor. Falls der Drecksack Hashi Lebwohl ihn nicht als erster in die Pfoten bekam; sich nicht noch Fieseres für ihn ausdachte.
Nachdem er Mikka Vasaczk vom Behandlungstisch losgeschnallt hatte, schubste er sie sachte in Davies’ Richtung. Davies fing sie mit beiden Armen ab; lehnte sie so gegen sich, daß er sie mit einem Arm ziehen konnte, ohne Druck auf ihre Verletzungen auszuüben.
»Weißt du, es ist merkwürdig«, sinnierte er halblaut. »Ich habe alles im Gedächtnis, was du ihr angetan hast.« Man hatte seinem Hirn Morns Geist imprägniert; ihre Erinnerungen. Er senkte den Kopf, sein Blick umschleierte und trübte sich; er schwieg über seine Kümmernis. »Trotzdem glaube ich, sie wird’s bedauern, wenn sie keine Gelegenheit zum Abschied hätte.«
Das rührte Angus; anscheinend vermochte er es nicht zu verhindern. Es verursachte ihm Stiche des Wehs und der Bitterkeit. Die Leichtigkeit, die es bei ihm hinterlassen hatte, über sich selbst hinausgewachsen zu sein, verflog für einen Moment vollständig; Schwere schien auf ihm zu lasten wie eine Bürde der Reue.
»Richte ihr aus…«, setzte er barsch zu einer Antwort an; doch zuerst hatte er gar keine Ahnung, was er eigentlich sagen könnte. Aber da wurde es ihm klar, als hätte sein Interncomputer einen Datenweg zu den Teilen seines Ichs gebahnt, die er als fremd empfand. »Richte ihr aus, ’s tut mir leid, daß ich mich nicht besser bewährt habe.«
Es wurmte ihn, daß sie ausgerechnet Nick Succorso ausgesucht hatte, um sich ihm zu entziehen. Hätte sie Succorso nicht dabei geholfen, ihn in die Pfanne zu hauen, wäre danach alles anders verlaufen. Dennoch verstand er ihren Beweggrund. Nick Succorso hatte ihr kein Z-Implantat eingepflanzt.
Davies blickte Angus endlich ins Gesicht. Sein Sohn sah ihn so offen an, als wäre sogar er zu guter Letzt eine ehrliche Haut geworden.
»So gut kann niemand sein«, antwortete Davies gedämpft. »Ich bin der Meinung, du hast dich sehr tüchtig ins Zeug gelegt.«
Angus wandte sich ab. Er hatte jetzt soviel Zuspruch bekommen, wie er verkraften konnte. Es rührte ihn zu tief. Davies den Rücken zugekehrt, öffnete er die Tür des Krankenreviers.
»Richt’s ihr einfach aus.«
»Mach ich«, versprach Davies.
»Dann schaff Mikka Vasaczk hier raus.« Angus deutete in den Korridor. »Dios und ich müssen los.«
Davies verzichtete auf jede weitere Bemerkung. Er klammerte sich an einen Haltegriff und zog Mikka Vasaczk durch die Tür, beschrieb mit ihr eine Drehung, die sie beide zum Lift befördern sollte.
Gleichzeitig beeilte Angus sich, zur Brücke zu kommen.
Er fühlte sich erst wieder erleichtert, nachdem Davies die Verletzte ins Kommandomodul gebracht hatte; als Dios an Bord gekommen war und Dolph Ubikwe den Interspatium-Scout aus den Befestigungsvorrichtungen entließ. Doch sobald die Bordsysteme der Posaune unter Angus’ Händen die Funktionen aufnahmen, der Andruck des Schubs ihn von neuem in den Andrucksessel preßte, da stieg auch seine Stimmung erneut an.
Morn, Davies und seine Schwäche gehörten nun der Vergangenheit an. Er war fertig mit Polizisten, Befehlen, Staatsgewalt und dem Dasein in Furcht. Der Zeitpunkt war da, um die Kluft zu überspringen, die ihm seiner Lebtag
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