Amok: Thriller (German Edition)
Stromleitung?«
Wieder ertönte vom Haus her ein Knall, und gleichzeitig verstummte jäh der Alarm. Julia drehte sich um und sah Rauch aus einem der oberen Fenster quellen. Sandy sah es ebenfalls, sie schien untröstlich.
»Jemand hat Ziegelsteine durch die Fenster geworfen«, sagte sie, »gefolgt von Molotowcocktails. Einer in der Lounge, einer durch die Haustür. Ist echt ein Wunder, dass niemand getroffen wurde.«
Sie erreichten das Tor. Alle mühten sich, keine Panik aufkommen zu lassen, als sie sich eine nach der anderen hindurchzwängten. Eine Frau stolperte, und jemand schrie auf. »Alles in Ordnung«, rief Kate. »Folgt mir einfach.«
Sobald sie alle draußen waren, bestand Julia darauf, dass sie ohne Hilfe weitergehen könne. Während Kate sich um die anderen Gäste kümmerte, ruhte Julia sich einen Moment aus und rieb sich die Augen. Sie war jetzt wesentlich klarer im Kopf, aber der quälende Schmerz strahlte nun in ihr Kreuz und in die Nierengegend aus. Sie versuchte nicht daran zu denken und schloss sich den anderen an, die im Gänsemarsch um das Grundstück herumgingen. Der Rauch stieg zum Himmel auf, und feine Ascheflocken regneten auf sie herab. Das Meer lag zu ihrer Linken, dunkel und still; nur ein leises Schlürfen verriet, wo die Wellen über den Sand spülten.
Jemand hatte einen Brandanschlag auf die Pension verübt. Das war verrückt. Warum sollte irgendjemand -
Und dann der Gedanke an Peggy Forester, bei lebendigem Leib verbrannt, nur wenige Stunden nach ihrem Besuch bei ihr.
Als sie den Fußweg erreichten, der den Strand mit der Straße verband, hörte sie die Sirenen näher kommen. Eine kleine Schar Schaulustiger stand auf dem Gehweg und beobachtete das Feuer aus sicherer Entfernung. Als sie das Grüppchen der Evakuierten erblickten, traten ein paar näher, um zu helfen. Julia sah, wie ein Mann seine Jacke auszog und sie einer Frau anbot, die nur ein dünnes Kleid trug.
Der erste Löschzug schoss an ihnen vorbei und bremste scharf, als er die Pension erreichte. Ein zweiter Feuerwehrwagen war direkt dahinter. Fast alle Köpfe drehten sich zu ihnen um, vereinzelte Bravorufe waren zu hören. Dann fiel Julia auf, dass einer der Schaulustigen mit dem Rücken zur Straße stehen geblieben war. Er beobachtete die Gäste, die im Gänsemarsch auf ihn zukamen. Die Entfernung war zu groß, um irgendetwas zu erkennen, doch sie sah, dass er dunkle Kleidung trug. Irgendetwas verdeckte sein Gesicht – vielleicht hatte er den Kragen hochgeschlagen oder vielleicht einen Schal um den Mund gewickelt.
Trotz der Entfernung wusste Julia es in dem Moment, als sein Blick sich auf sie heftete. Sie spürte es in jeder Faser ihres Körpers, und als er sich von der Gruppe löste und auf sie zueilte, erkannte sie die Körpersprache wieder, seine schnellen, kräftigen, entschlossenen Bewegungen. Genau so, wie er damals aus der Hurst Lane auf den Dorfplatz geschritten war.
Er war es. Der zweite Killer. Er kam direkt auf sie zu.
Julia machte kehrt und rannte los.
Ihr blieb nur eine Fluchtrichtung: nach Westen, in die Dünen hinter dem Strand. Der Killer hatte ihr den Weg nach Norden abgeschnitten, im Süden stand das Wasser zu hoch, und im Osten war die brennende Pension.
Eine warnende Stimme riet ihr davon ab, es überhaupt zu versuchen. In ihrem gegenwärtigen Zustand war schon das Gehen eine Qual, vom Laufen ganz zu schweigen. Aber es war eine instinktive Entscheidung gewesen, getroffen ohne jede rationale Überlegung, und jetzt war es zu spät für einen Sinneswandel.
Es wurde dunkler und kälter, als sie die Dünen zu erklimmen begann. Der Sand war locker und tief, und schon nach fünfzehn oder zwanzig Schritten war sie erschöpft. Der Strandhafer peitschte ihre nackten Füße, und an einer herumliegenden Coladose schnitt sie sich den kleinen Zeh auf. Als sie einen Blick über die Schulter riskierte, sah sie eine schemenhafte dunkle Gestalt, die gerade den Fußpfad erreicht hatte, dort innehielt und den Strand absuchte.
Julia warf sich auf die Erde und ließ das Tagebuch fallen. Etwa drei Meter weiter entdeckte sie eine tiefere Mulde und robbte darauf zu, indem sie sich an Grasbüscheln festhielt und sich flach über den Sand zog. Es war ihr sehr wohl bewusst, wie isoliert sie war, aber sie wusste auch, dass das Untertauchen in der Menge ihr keinen Schutz geboten hätte, falls der Mörder bewaffnet war. So brachte sie wenigstens keine anderen Menschen in Gefahr.
Nicht mehr, als sie es bereits getan
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