Amok: Thriller (German Edition)
entwürdigend.«
Der Arzt lachte. »Okay, ich hab‘s ein bisschen auf die Spitze getrieben, aber Sie haben verstanden, worauf ich hinauswill, nicht wahr?«
Es war fast Mitternacht, als man Julia endlich gehen ließ. Gerührt stellte sie fest, dass Craig auf sie gewartet hatte, und noch dankbarer war sie, als er darauf bestand, dass sie für die Fahrt nach Lewes ein Taxi nahmen.
»Aber das kostet ja ein Vermögen«, sagte sie. »Es fahren doch sicher noch Züge.«
»Nach allem, was du hinter dir hast, steigst du mir nicht in einen Zug, und ich denke genauso wenig dran, das zu tun.«
Nach kurzen, mit gedämpfter Stimme geführten Verhandlungen am Taxistand und einem kurzen Umweg zu einem Geldautomaten hatten sie eine relativ komfortable Heimreise. Während sie in erschöpftem, traulichem Schweigen Seite an Seite im Fond saßen, war Julia einen Moment lang versucht, den einen heiklen Punkt anzusprechen, der zwischen ihnen noch ungeklärt war. Sie überlegte gerade hin und her, wie sie das Thema anschneiden sollte, als der Schlaf sie übermannte, und sie wachte erst wieder auf, als sie den Cuilfail-Tunnel kurz vor Lewes erreichten. Sie schlug die Augen auf und sah, dass Craig sie beobachtete, ein mildes Lächeln auf den Lippen, und sie wusste, dass sie es jetzt nicht ansprechen konnte.
Ihre Wohnung war eine von sechs in einer umgebauten Villa aus dem frühen 20. Jahrhundert, die in einer schmalen Straße hinter der Burg lag. Als das Taxi vor dem Haus hielt, bestand Craig darauf, sie noch bis in die Wohnung zu begleiten. Ihr Schlüsselbund war in der Pension zurückgeblieben, aber zum Glück hatte eine Nachbarin noch einen Ersatzschlüssel. Und was noch besser war: Sie hatte kein Problem damit, dass Julia sie aus dem Bett klingelte.
Craig folgte ihr nach oben und wartete, während sie die Tür aufschloss. »Bist du sicher, dass du allein klarkommst? Du kannst gerne das Gästezimmer im Haus meines Vaters haben.«
»Ich muss mich irgendwann daran gewöhnen, wieder hier zu leben. Warum nicht gleich heute Nacht?«
Craig wirkte nicht sehr glücklich, doch am Ende gab er nach. »Ich denke, es gibt keinen Grund zu der Annahme, dass der Mörder deine Adresse kennt, aber mach auf keinen Fall irgendwelchen Fremden die Tür auf. Lass keinen Menschen ins Haus.«
»Craig, ich wohne schon jahrelang allein. Ich weiß Bescheid über diese Dinge.«
»Schon klar. Tut mir leid. Aber ruf mich an, falls du irgendetwas brauchst.«
Zum Abschied gab er ihr einen Kuss auf die Wange, und Julia fiel der Kontrast zum letzten Mal auf, als sie sich getrennt hatten – wie missmutig sie der Gedanke gestimmt hatte, dass sie schon am Ende ihres gemeinsamen Weges angelangt sein könnten.
Sie war gleich ins Bett gegangen. Ihr Schlaf war tief und traumlos, und am Morgen erwachte sie mit dem Gefühl, dass eine neue Phase in ihrem Leben begonnen hatte. Das Feuer in der Pension hatte ihre Genesung unterbrochen, doch es war auch eine nützliche Warnung gewesen, dass sie den ganzen Prozess künftig ernster nehmen sollte.
Jetzt aber lag zunächst einmal der ganze Tag vor ihr, und sie hatte nichts Bestimmtes vor bis auf ein paar Routinearbeiten im Haushalt, auf die sie sich nach dieser langen Abwesenheit regelrecht freute.
Um halb acht machte sie sich einen Kaffee – schwarz, denn es war keine Milch im Haus – und nahm ihn mit ins Bett. Nachdem sie sich noch eine Weile ihren Tagträumen hingegeben hatte, griff sie nach dem Tagebuch, das sie im Krankenhaus die ganze Zeit wie einen Talisman bei sich behalten und nie aus den Augen gelassen hatte. Es widerstrebte ihr, in die Privatsphäre ihres Vaters einzudringen, und anfangs überflog sie die Seiten nur, als würde sie auf diese Weise lediglich durch das Leben ihrer Eltern hüpfen, anstatt wie ein Elefant darauf herumzutrampeln.
Da ließ plötzlich ein Name sie mitten in der Bewegung erstarren. Ihre Finger hielten das Buch krampfhaft gepackt, während sie ihn ungläubig anstarrte.
Carl Forester.
Er tauchte in der zweiten Augustwoche auf. In früheren Einträgen hatte ihr Vater immer wieder über die Koniferen im Garten geklagt. Sie waren zu hoch geworden, und er konnte sie nicht mehr ohne Hilfe zurückschneiden. Der Wirt vom Green Man hatte ihm Forester empfohlen – in den Worten ihres Vaters ein junger Bursche aus Falcombe, der gerne Gelegenheitsjobs übernimmt .
Ihr war, als schnürte ihr etwas den Brustkorb zusammen, als sie zur nächsten Woche weiterblätterte. Da war der Name
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