Amok: Thriller (German Edition)
getötet und anschließend auf mich geschossen. Aber als Carl den anderen Mann begrüßte, machte er ein Geräusch. Eine Art Triumphgeheul.« Sie zögerte, atmete tief durch. »Ihr Schlafzimmerfenster war offen. Das kleine obere Kippfenster. Sie müssen ihn gehört haben.«
Julia glaubte zu sehen, dass Alice im ersten Moment erleichtert reagierte, dachte aber nicht weiter darüber nach. Sie beugte sich weiter vor und sah ihr direkt in die Augen. Sollte sie es nur wagen, ihr auszuweichen. Sollte sie es nur wagen, sie anzulügen.
»Bitte«, drängte sie. »Sagen Sie mir, was Sie gehört haben.«
Alice schluckte. Ihr ganzer Körper war starr und zitterte vor Anspannung. Julia konnte es durch das Sofa spüren.
»Ich bin ein schrecklicher Mensch«, sagte Alice schließlich. »Ich habe die Polizei angelogen, ich habe alle angelogen.« Sie fing an zu weinen. »Ich verdiene es nicht, am Leben zu sein.«
Vanessa verbrachte die meiste Zeit des Tages im größten der Schlafzimmer im ersten Stock. Neben dem Bett und dem Schrank gab es noch zwei Sessel und einen Schreibtisch. Auch an einen Fernseher und eine Stereoanlage, einen Wasserkocher und einen kleinen Kühlschrank hatte George gedacht. Als Vanessa sein Werk zum ersten Mal gesehen hatte, hatte sie nur gemeint: »Es sieht aus wie irgendein scheußliches Motelzimmer. Gibt es auch ein Bügeleisen und einen Föhn im Schrank?«
Als er von seinem Spaziergang ins Dorf zurückkam, saß sie im Sessel und schlief; auf dem Tisch lag der zusammengefaltete Telegraph neben einer unberührten Tasse Tee, zu ihren Füßen ruhte der geschlossene Laptop wie ein schlafender Schoßhund.
Er machte sich selbst einen Tee, setzte sich in den Sessel gegenüber und rührte ganz vorsichtig, um sie nicht zu wecken. Doch als er den Löffel ablegte, gab es ein leises Klirren, und als er sich zu ihr umdrehte, sah er, dass sie die Augen weit offen hatte und ihn beobachtete. Vor Schreck verschüttete er etwas Tee über seinen Schoß. Er zuckte zusammen, als die heiße Flüssigkeit durch seine Hose drang, und zupfte hektisch am Stoff.
»Pass doch auf«, sagte Vanessa und deutete mit einem Kopfnicken auf seinen Schritt. »Vielleicht brauchst du ihn ja irgendwann noch mal.«
Er knurrte nur, weil er nicht recht wusste, was er darauf erwidern sollte. Nachdem er einen Schluck Tee getrunken hatte, sagte er: »Ich habe gerade Julia Trent im Dorf getroffen.« Er gab ihr Gespräch wieder, erwähnte auch Julias Absicht, Alice Jones aufzusuchen, und ihre Entdeckung, dass Carl Forester für ihre Eltern gearbeitet hatte. »Ich habe angeboten, das Haus zu kaufen«, gab er zu.
»Zwecklos«, sagte Vanessa. »Sie wird es als das erkennen, was es ist. Nur ein weiterer taktischer Zug.«
George sagte nichts. Er hatte sich geschworen, dass er in ihren letzten Wochen nicht mehr auf irgendwelche Provokationen eingehen würde.
»Was sagt sie zu Peggy Forester?«, fragte Vanessa.
»Sie ist gleich in die Defensive gegangen, als ich sie auf ihren Besuch ansprach. Sie haben der Polizei nicht gesagt, dass sie dort waren.«
Vanessas Augen leuchteten auf. »Das ist gut zu wissen.«
»Ich bin mir nicht sicher, ob es wirklich so wertvoll ist. Wohl nur, wenn ich auch bereit bin, davon Gebrauch zu machen.«
»Bist du das denn nicht?«
George seufzte. »Ich weiß es nicht. Ich habe irgendwie das Gefühl, dass es sich als kontraproduktiv erweisen könnte. Es wäre besser für uns alle, wenn das Feuer wirklich nur ein Unfall war.«
Vanessa sah ihn bedauernd an. »Ach, George, ich glaube wirklich, dass du allmählich die Nerven verlierst.«
»Es wird Ihnen nichts nützen«, sagte Alice. »Ich kann mich da nicht reinziehen lassen.«
»Wie meinen Sie das?«
Alice antwortete mit einer Gegenfrage. »Wissen Sie, warum ich hier bin? Warum ich meine Kinder verlassen musste?«
»Gordon sagte, Sie hätten einen Nervenzusammenbruch erlitten.«
»Es war ein bisschen mehr als das.« Wieder lachte sie ihr Reibeisenlachen. »Unsere Nachbarn, die Grangers, haben die ganze Geschichte doch tatsächlich verpennt.«
Julia nickte. Sie erinnerte sich, es im Polizeibericht gelesen zu haben.
»Ungefähr eine Woche danach traf ich Brian zufällig auf der Straße. Er hatte miese Laune, weil am 19. Januar sein Auto beschädigt worden war. Er meinte, es sei von einem der Rettungsfahrzeuge gerammt worden, aber die Versicherung wollte nicht zahlen. Hat mir die ganze Zeit die Ohren vollgejammert, als ob an diesem Tag sonst nichts Wichtiges
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