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Amok: Thriller (German Edition)

Amok: Thriller (German Edition)

Titel: Amok: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Bale
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eine Tür auf. Eine schemenhafte Gestalt erschien in der Öffnung, kam aber nicht näher.
    Julia ging in die Hocke und hob den Deckel des Briefschlitzes an. »Alice? Sind Sie das? Ich bin Julia Trent. Ich weiß nicht, ob Sie -«
    »Sind Sie allein?«, zischte eine Stimme.
    »Ja.«
    »Schwören Sie es?«
    »Ja. Natürlich.«
    Nach einer Pause kam die Gestalt zögernd näher. Julia hatte Alices Gesicht im Januar nur ganz kurz gesehen, hatte aber dennoch eine ziemlich klare Vorstellung von ihrem Aussehen. Als sie Alice jetzt sah, war ihre erste Reaktion, dass sie bei der Falschen geklingelt haben musste. Diese Frau sah aus, als wäre sie um die fünfzig. Sie war in einen verblichenen rosa Morgenmantel gehüllt, ihr Gesicht war von Sorgenfalten zerfurcht, und sie hatte mehr graue als braune Haare. Erst als ihre Blicke sich trafen, erkannte Julia sie wieder.
    »Hat Gordon Sie geschickt?«
    Julia nickte. »Sie wirken gar nicht überrascht.«
    »Ich wusste, dass Sie irgendwann kommen würden«, erwiderte Alice mit müder, resignierter Stimme. Sie führte Julia durch einen schmalen Flur, der etwas leicht Anstaltsmäßiges hatte: die Wände schlicht mattweiß gestrichen, der Boden mit Fliesen ausgelegt, in der Luft ein penetranter Geruch nach starken Reinigungsmitteln.
    Alices Wohnung war genauso funktional, offensichtlich ein Produkt des Trends der letzten Jahre, Mietwohnungen als Kapitalanlage zu erwerben. Julia betrat ein geräumiges Wohnzimmer, das aus einer dieser Vorher-nachher-Shows im Nachmittagsprogramm hätte stammen können: billiger Laminatfußboden und ein künstlicher Kamin mit Muschel-Dekor. Es war nicht zu erkennen, dass Alice irgendwie versucht hätte, die Wohnung persönlicher zu gestalten. Kein Nippes, keine Fotos. Nicht einmal Bilder von ihren Kindern.
    »Ich hätte nie geglaubt, dass Sie überleben würden«, sagte Alice. Sie ließ sich auf ein helles Stoffsofa sinken. Julia sah, dass auf dem Boden ein Kopfkissen und eine sorgfältig zusammengefaltete Bettdecke lagen, und sie fragte sich, was wohl mit dem Schlafzimmer nicht stimmte.
    Sie nahm am anderen Ende des Sofas Platz. »Wie meinen Sie das?«
    »Ich habe gesehen, wie sie Sie in den Hubschrauber geschoben haben. Es sah aus, als ob sie eine kaputte Porzellanpuppe transportierten. Sie waren in Decken gehüllt, aber Sie sahen aus, als wären Sie innerlich zerbrochen. Und als hätten die Sanitäter versucht, die Scherben einzusammeln, um Sie später wieder zusammenkleben zu können.«
    »So hatte ich das noch nicht gesehen«, gab Julia zu. Ihr fiel auf, dass Alices Augen mit einer unnatürlichen Intensität leuchteten. Wenn sie sprach, schlug ihre Stimme ständig nach oben und unten aus. Manchmal war sie geradezu unerträglich schrill, was Alice aber anscheinend nicht bewusst war.
    »Ich wünschte fast, Sie hätten es nicht überlebt«, fügte sie ohne eine Spur von Böswilligkeit hinzu. »Es war uns nicht bestimmt zu überleben. Er hätte Sie töten sollen und dann mich. Er hätte ganze Arbeit leisten sollen.« Ihr Lachen klang, als rieben zwei Metallplatten aneinander.
    »Das sehe ich anders«, entgegnete Julia. »Ich glaube, unser Schicksal ist das, was wir daraus machen. Ich bin stolz, dass ich das alles durchgestanden habe. Und Sie sollten es auch sein.«
    »Worauf soll ich denn stolz sein? Ich habe mich in einer Ecke verkrochen wir eine ängstliche kleine Maus. Meine Kinder waren -« Ihre Stimme versagte. »Meine Kinder waren tapferer als ich.«
    »Sie haben sie beschützt. Sie haben genau richtig gehandelt.«
    Alices Augen verengten sich. »Sie meinen, Sie hätten nicht gewollt, dass ich die Tür aufmache und Sie ins Haus lasse?«
    »Würde es Ihnen besser gehen, wenn ich sagen würde, dass ich Sie dafür hasse?«
    »Tun Sie das?«
    Julia zuckte mit den Achseln. »Ich weiß nicht. Gut möglich, dass ich es trotzdem nicht geschafft hätte.«
    Alice schüttelte den Kopf, als sei sie nicht ganz überzeugt. Sie murmelte halblaut vor sich hin und wandte sich ab. Julia seufzte. Jetzt verstand sie, warum Gordon so mutlos gewesen war.
    »Sie haben am Fenster gestanden, als Carl mich vom Friedhof auf den Dorfplatz jagte. Sie haben der Polizei gesagt, danach hätten Sie nichts mehr gesehen.«
    Alice drehte sich um und sah, dass Julia sie anstarrte. Sie wollte sich abwenden, doch Julia schien sie mit der Intensität ihres Blicks regelrecht festzunageln.
    »Ich habe der Polizei gesagt, dass noch ein anderer Mann beteiligt war«, fuhr Julia fort. »Er hat Carl

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