Amok: Thriller (German Edition)
alles in der Luft hängen. Sein ganzes Leben würde in der Luft hängen.
Die Tränen kamen ohne Vorwarnung, ein heißer Strom, der sich urplötzlich über seine Wangen ergoss, während ein einzelner, konvulsivischer Schluchzer seinen Brustkorb erbeben ließ. Sein Leben war vorbei. Zerstört.
Hinterher fühlte er sich nicht besser, obwohl doch alle immer behaupteten, wie befreiend es sei, »einfach alles rauszulassen«. Im Gegenteil: Er fühlte sich schlechter. Hundeelend und erschöpft und von dem einzigen Wunsch erfüllt, er könnte einfach auf der Stelle tot umfallen und sich so all die Unannehmlichkeiten und Strapazen ersparen, die vor ihm lagen, so unvermeidlich, wie die Nacht dem Tag folgte.
Er musste es hinter sich bringen, und er beschloss, gleich damit anzufangen.
Mit Kendrick.
Beim dritten Läuten wurde am anderen Ende abgehoben. »Ja?«
»George Matheson hier.«
»Welch nette Überraschung.« Der verschlagen-amüsierte Ton machte George fuchsteufelswild. Es war schlimm genug, dass er nicht mit Kendrick persönlich sprechen konnte. Dass er ausgerechnet über diesen Vilner mit ihm kommunizieren musste, war einfach nur demütigend.
»Ich nehme an, Sie haben die Nachrichten gesehen.«
»Bin gerade dabei«, erwiderte Vilner. »Ich hab mir gedacht, na, hoffentlich hat der Kerl, der mich von der Glotze losreißt, einen verdammt guten Grund dafür.« Er lachte. »Aber Sie dürfen das, würd‘ich mal sagen.«
»Ich muss Kendrick so bald wie möglich sprechen. Ich bin sicher, dass er auch daran interessiert ist, die … Folgerungen zu besprechen.«
Wieder dieses kehlige Lachen. »Folgerungen?«, wiederholte er, als sei das Wort ein absurder Euphemismus.
»Ja«, sagte George bestimmt. »Wenn Sie mir seine Nummer geben, rufe ich ihn selbst an.«
»Ich treffe ihn später noch. Er wird die Nachricht bekommen.«
»Ich bitte Sie darum.«
Vilners Ton wurde härter. »Wie geht‘s denn Toby so?«
George knurrte. Das war der nächste Anruf, den er erledigen musste.
»Und was wird jetzt aus dem Bauprojekt?«, fuhr Vilner fort. »Könnte alles platzen, wie ich die Dinge sehe.«
»Nicht unbedingt. Aber es scheint ratsam, alle Eventualitäten zu berücksichtigen.«
»Ja, ja – den Schwachsinn können Sie meinetwegen von sich geben, bis Sie schwarz werden. Solange Sie nicht vergessen, was Sie mir schuldig sind. Wenn ich nicht den Vertrag bekomme, den Toby mir versprochen hat, dann will ich stattdessen die Kohle.«
George unterdrückte seine Wut und sagte ruhig: »Die werden Sie bekommen.«
»Wann?«
»Das kann ich Ihnen unmöglich sagen.«
»Hören Sie zu, George, ich war wirklich mehr als geduldig. Aber verarschen lasse ich mich von niemandem.«
»Wir unterhalten uns bald wieder«, entgegnete George. Seine Hand zitterte, als er den Hörer auflegte. Immer wenn er mit Vilner zu tun hatte, fühlte er sich hinterher irgendwie schmutzig.
Er hatte vorgehabt, auch Toby anzurufen und ihn zu warnen, dass er den Mund halten solle, aber er war dazu schlicht nicht in der Lage. Ein unbändiges Verlangen, alles zu vergessen, ergriff von ihm Besitz, und er dachte an Vanessas Schmerztabletten. Es konnte wirklich so einfach sein.
»Alles vergessen«, murmelte er und griff nach dem Brandy.
Als sie kamen, war Craig schon betrunken. Nach Jahren der Abstinenz schlug der Alkohol bei ihm ein wie eine Bombe. Er hatte das angenehme Stadium glatt übersprungen und war gleich in den Kater hineingerutscht. Statt rauschhafter Euphorie empfand er nur Abscheu darüber, dass er seinen vielen anderen Fehlern noch den der Charakterschwäche hinzugefügt hatte.
Er sah das Polizeiauto draußen vorfahren und war schon an der Tür, ehe sie klingelten. Es waren zwei Männer, einer in Uniform und sehr jung, der andere von der Kripo und ungefähr in Craigs Alter. Es war schon fast ganz dunkel, nur im Westen zeigte der Himmel noch ein paar rötliche Streifen. Die Temperatur lag wahrscheinlich unter dem Gefrierpunkt.
Trotz der Kälte stand ein neugieriger Nachbar drüben vor seinem Haus und glotzte ungeniert herüber. Schon allein aus diesem Grund gab sich Craig alle Mühe, nüchtern zu wirken, und bat die Polizisten ins Haus. Dass er an der Schwelle stolperte, machte die Sache nicht gerade besser, aber falls die beiden sich an seinem Zustand störten, ließen sie sich nichts anmerken.
»Kann ich Ihnen was zu trinken anbieten?«, fragte er und gab sich große Mühe, nicht zu lallen.
»Gute Idee«, erwiderte der Kripomann. »Mein
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