Amok: Thriller (German Edition)
Verbrecherfamilien des Londoner Nordens sicherte er sich Anteile an mehreren Clubs und Restaurants und steckte die Einnahmen in ähnliche, legitime Unternehmungen. Eine kleine Kette von Videotheken und DVD-Verleihen war besonders erfolgreich, und bald wusch er Geld für andere, um sich schließlich aufs Geldverleihen zu spezialisieren.
Jetzt besaß er ein Fünf-Zimmer-Haus in der Nähe von Finsbury Park und ein paar Autos, von denen jedes Einzelne mehr wert war als die Häuser, in denen er aufgewachsen war. Niemand konnte leugnen, dass er es geschafft hatte, aber irgendwie war es nicht genug. Es war ihm bewusst, dass es über ihm noch Leute gab, die in einer ganz anderen Liga spielten – Leute, die so viel Geld hatten, dass sie gar nicht mehr über Geld nachdenken mussten. Da wollte er hin, und zwar noch vor seinem vierzigsten Geburtstag. Mit vierzig war seine Mutter an einer Gehirnblutung gestorben.
Anfangs hatte er keinen blassen Schimmer, wie er ein so ehrgeiziges Ziel erreichen sollte, doch er war ein geduldiger Mensch und zudem optimistisch veranlagt. Die richtige Gelegenheit wartete da draußen irgendwo auf ihn. Er musste sie nur noch finden.
Und eines Tages war es dann so weit.
Er fand die Mathesons.
Er war zehn Minuten zu früh dran, aber nicht etwa, weil er es kaum erwarten konnte, hier zu sein. Er hatte keine Zeit für piekfeine Veranstaltungen in piekfeinen Hotels, und er hatte keine Ahnung, warum Kendrick ihn dabeihaben wollte. Falls es um eine Demonstration der Stärke ging, hatte Kendrick genügend eigene Schläger zu Verfügung. Als Vilner aus dem Aufzug trat, sah er schon zwei von den Kerlen vor dem Eingang des Dorset Room stehen. Gorillas im Smoking.
Einer der beiden erkannte ihn und ließ ihn mit einem Nicken passieren. Er stieß die Doppeltür auf und betrat einen Saal, der ein bisschen kleiner war, als er gedacht hatte, aber prachtvoll hergerichtet. Eine riesige Eisskulptur, die springende Delfine darstellte, prangte in der Mitte des Buffettischs, flankiert von zwei Rodelschlitten, ebenfalls aus Eis. Das Catering-Personal war augenscheinlich ausnahmslos weiblich und umwerfend attraktiv. Ein geschickter Schachzug angesichts der Tatsache, dass die Gäste mehrheitlich Männer im gesetzteren Alter sein würden.
Noch war allerdings niemand da, wie er feststellte. Nur die eifrig umherschwirrenden Serviererinnen und ein halbes Dutzend von Kendricks Männern, die sie mit ihren Blicken verfolgten. Dann ging eine Tür in der Seitenwand des Saals auf, und Jacques kam heraus. Er war ein dünner Mann von gepflegtem Äußeren, mit straff nach hinten gekämmter Feuchtfrisur, hellbrauner Haut und sehr dunklen, mandelförmigen Augen. Während die Schläger überwiegend in London und Umgebung angeworben worden waren, stammte Jacques aus der Karibik. Es war offensichtlich, dass er sich die Position als Kendricks rechte Hand hart erarbeitet hatte, und er war krankhaft eifersüchtig auf jeden, der ihm seinen Status streitig zu machen drohte.
»Du hast dir zu lange Zeit gelassen«, erklärte der schmächtige Mann. Er hatte eine näselnde, gezierte Stimme, die genau zu seinem verkniffenen Gesichtsausdruck passte.
»Nein, habe ich nicht«, erwiderte Vilner gelassen. »Ich brauche nur zwei Minuten.«
»Na, dann solltest du dich besser beeilen. Die ersten Gäste werden jeden Moment hier sein.«
Vilner wartete nicht, bis er weggeschickt wurde, sondern ging gleich weiter. Er verließ den Saal durch die Seitentür und fand sich in einem kleinen, zweckmäßig eingerichteten Nebenzimmer. Max Kendrick saß an dem einzigen Tisch und tippte mit flinken Fingern auf einem Laptop. Zu seinen Füßen stand eine Ledertasche, vor ihm auf dem Tisch ein Glas Wasser. Er blickte auf, als Vilner sich näherte, nickte und deutete ein Lächeln an. Aber es blieb bei der Andeutung.
»Augenblick noch, gleich habe ich Zeit für dich«, sagte er.
»Okay.« Jetzt erst bemerkte Vilner die Frau in der Ecke. Sie saß so still, dass sie ein Teil der Einrichtung hätte sein können. Ein junges schwarzes Mädchen, höchstens zwanzig, groß gewachsen und gertenschlank, in ein enges Samtkleid gehüllt wie ein exquisites Geschenk, das man sich nicht auszupacken traut. Sie hatte makellose Haut und langes, glänzendes Haar. Bei ihrem Anblick krampfte sich Vilners Magen zusammen. Sie riskierte nur einen kurzen Blick in seine Richtung und schlug gleich darauf die Augen nieder. Sie hatte das nervöse Gebaren einer Teilnehmerin an einem
Weitere Kostenlose Bücher