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Amok: Thriller (German Edition)

Amok: Thriller (German Edition)

Titel: Amok: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Bale
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eingeordnet, reflektiert und aus dem Bewusstsein verbannt werden konnten.
    Eine Welt, aus der es kein Entkommen gab.
     
    Und dann, von einer Sekunde auf die andere, fand sie sich in einem lichtdurchfluteten Raum. Anfangs wusste sie nicht einmal, wer sie war, doch die Verwirrung dauerte nur einen Augenblick. Und mit dem Wissen um ihre Identität kam eine schockierende Erinnerung: Ihre Eltern waren tot.
    Der Schmerz war erdrückend. Sie wollte so gerne glauben, dass alles Teil des Alptraums sei, doch als sie ihr Gedächtnis durchforschte, tauchten die Details so schnell und in solcher Klarheit vor ihren Augen auf, dass sie nur echt sein konnten.
    Es war Mitte Dezember gewesen, ein stürmischer Abend. Sie und ihr Bruder Neil hatten beide den ganzen Tag über versucht, die Eltern telefonisch zu erreichen, und schließlich hatte Julia sich bereiterklärt, nach der Arbeit hinzufahren.
    Als sie mit ihrem roten Mini Cooper vor dem Haus vorfuhr, fiel ihr auf, dass alles dunkel war. Sie blieb noch eine Minute sitzen, um sich zu sammeln. Der Regen, der auf das Autodach trommelte, gab ihr ein Gefühl von Geborgenheit und Schutzlosigkeit zugleich.
    Schon als sie die Haustür aufschloss, wusste sie, dass etwas nicht stimmte. Ein Schwall warmer Luft schlug ihr entgegen und ließ die stickige Atmosphäre im Haus noch erahnen, wie das Nachbild eines Lichtblitzes auf der Netzhaut. Und da war noch etwas anderes – die unheilvolle Qualität der Stille, wie ein eiskalter Finger, der ihr übers Rückgrat strich. Sie verspürte einen überwältigenden Drang, auf der Stelle kehrtzumachen und zu fliehen.
    Sie trat ein und schaltete das Licht ein. Erst nachdem sie das gedämpfte Heulen des Windes herausfilterte, konnte sie einzelne Geräusche aus dem Inneren identifizieren: das monotone Ticken der Stiluhr im Wohnzimmer, das stakkatoartige Summen des Kühlschranks, das Dröhnen des Heizkessels.
    Schon stieg die Hitze wieder an. Sie hatte etwas Ungutes, Bedrohliches an sich. Ihr Vater war berüchtigt für seine Sparsamkeit. Als Neil und sie klein waren, hatte er immer hinter ihnen das Licht ausgeschaltet. Er würde nie aus dem Haus gehen und die Heizung so voll aufgedreht lassen.
    Und daraus folgte, dass sie nicht ausgegangen waren. Sie waren hier. Im Dunkeln.
    »Mum! Dad!«, rief sie. »Seid ihr da?«
    Keine Antwort. Sie konnte sehen, dass im Erdgeschoss nirgends Licht brannte, aber es bestand immer noch die Möglichkeit, dass sie in einem der Schlafzimmer waren.
    Es war eine trügerische Hoffnung, das wusste sie, als sie die Treppe hinaufstieg. Mit jeder Stufe schienen ihre Beine schwerer zu werden, schienen ihr den Dienst versagen zu wollen. Als sie oben ankam, wurde sie von einer Welle der Übelkeit erfasst, und sie musste sich am Geländer festhalten.
    Oben brannte auch kein Licht.
    »Mum?«, rief sie wieder und hielt inne, gelähmt vor Angst. »Dad?«
    Sie wandte sich zum Schlafzimmer ihrer Eltern um und stieß langsam die Tür auf.
    Ihre Hand zitterte, als sie nach dem Lichtschalter tastete. Trotz des Halbdunkels konnte sie die beiden Silhouetten unter der fliederfarbenen Marks-&-Spencer-Bettdecke gerade eben ausmachen. Der Anblick ließ eine längst verblasste Kindheitserinnerung aufflackern – ein Sonntagmorgen, sie und ihr Bruder kichernd im Treppenhaus, während aus dem Schlafzimmer merkwürdiges Keuchen und Stöhnen drang. Damals hatte sie das Gefühl gehabt, bei etwas zu stören, das sie nicht verstand, und so ging es ihr auch jetzt.
    Aber sie konnte sich nicht umdrehen und gehen. Sie musste es wissen.
    Sie schaltete das Licht ein, begleitet von einem verzweifelten Stoßgebet: Mach, dass sie bloß schlafen.
    Und einen Moment lang schien es tatsächlich so. Bis sie ihre Gesichter sah.
     
    Ihre Eltern waren tot, und sie hatte die Leichen gefunden. Aber wo war sie jetzt? Hatte sie infolge des Traumas einen Nervenzusammenbruch erlitten? War sie in einer psychiatrischen Anstalt eingesperrt?
    In ihrem verzweifelten Bemühen, nicht wieder in die dunkle Welt ihrer Träume abzugleiten, klammerte sie sich an der Erinnerung an diesen Dezemberabend fest. Sie würde sich zwingen, die Erfahrung noch einmal zu durchleben, und auf diese Weise würde sie vielleicht den Weg zurück in die Gegenwart finden.
     
    Sie hatten ausgesehen, als wären sie gerade von einem von Dads Geländemärschen über die Downs zurückgekommen. Da lagen sie unter der mollig warmen Decke, mit rosigen Wangen, die von unverschämt guter Gesundheit zu künden schienen,

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