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Amokspiel

Amokspiel

Titel: Amokspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Fitzek
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starrte fassungslos auf den Bildschirm. Das Bild wackelte leicht, wenn der Scharfschütze sich bewegte. Doch es gab keinen Zweifel. Der Mann war kurz vor seinem Zielobjekt. Schneller als erwartet hatte er sich durch den staubigen Schacht der Klimaanlage bis zum A-Studio vorgeschoben. Seine Knie bluteten, und seine Handballen waren aufgerissen. Aber die Mühe hatte sich gelohnt. Er lag jetzt neben dem Abzugsventilator, direkt über dem Studiomischpult. Die funkgesteuerte Mikrofaser-Endos-kopiekamera an der Stirn des Schützen lieferte eine Nahansicht vom Hinterkopf des Geiselnehmers. Leider konnte man aus dieser Perspektive nicht auch alle anderen Menschen sehen, die sich im Raum befanden. Dazu hätte der Polizist die Lüftungsplatte anheben müssen. Der schmale Schlitz zwischen den Metallrotorblättern des Deckenlüfters reichte gerade aus, um die Mündung der Heckler & Koch in Position zu bringen. Es gab einen kurzen Signalton, dann füllte sich vor den Augen von Götz, Steuer und Ira die rechte obere Ecke des Bildschirms mit einer neuen Textnachricht. Der Polizist arbeitete mit einem Mini-Text-Computer. Eine Funkverbindung wäre zu laut gewesen.
    Erwarte weitere Befehle »Er ist so weit«, sagte Götz. »Gut«, antwortete Steuer.
    »Nichts ist gut!«, widersprach Ira heftig. »Ihr dürft auf gar keinen Fall schießen.«
    »Maul halten!« Steuer stand von seinem Stuhl auf und legte Götz die Hand auf die Schulter. »Es ist Ihr Mann.« Götz setzte sich und zog die kabellose Funktastatur zu sich heran.
    Seine Finger flogen über die Tasten. »Waffe entsichern.«
    Die Antwort kam prompt: Ist entsichert »Ihr dürft ihn nicht erschießen«, wiederholte Ira.
    »Was macht Zielperson?«
    Er wählt »Welche Nummer?«
    Die Auflösung über die mobile Kamera war zu schlecht, um die Zahlenfolge vom Telefoncomputer im Studio abzulesen.
    Beginnt mit 788 Das ist Kreuzberg. Mein Viertel, dachte Ira, sagte aber nichts. Seitdem man seine Telefonnummer beim Umzug mitnehmen konnte, war es sowieso nicht mehr möglich, den Anrufer anhand der ersten Ziffern zu lokalisieren. »Abwarten«, tippte Götz in die Tastatur und drehte sich mit der Frage: »Warum dürfen wir nicht schießen?« zu Ira um.
    »Verplempern Sie Ihre Zeit nicht mit dieser Schrulle«, keifte Steuer, der gerade einen Kaffee entgegennahm, den ihm ein unrasierter Assistent mit zusammengewachsenen Augenbrauen und einer Prinz-Eisenherz-Frisur in einem Pappbecher auf den Tisch stellte. Der Mann setzte sich stumm an den Monitor gegenüber von Götz und dem Polizeidirektor.
    »Weil ihr nicht wisst, was passiert, wenn ihr auf ihn feuert«, redete Ira weiter. »Er trägt genug Sprengstoff an seinem Körper, um die Pfeiler aus diesem Hochhaus weg-zupusten.«
    »Sagt er. Und selbst wenn. Ihm bleibt noch nicht einmal mehr Zeit, um einen Furz zu lassen, wenn wir ihm das Gehirn wegblasen. Geschweige denn, um einen Zünder zu ziehen.«
    Jetzt ignorierte Ira den Redeschwall von Steuer. Stattdessen stellte sie das Radio lauter, um das laufende Programm besser hören zu können.
    Der Geiselnehmer wählte gerade die letzte Ziffer. Das Freizeichen ertönte und füllte das gesamte Büro. Einmal.
    Ira sah Götz an und schüttelte den Kopf.
    »Nicht schießen«, formte sie lautlos mit ihren Lippen. Zweimal.
    Steuer setzte die Kaffeetasse ab und starrte auf den Bildschirm. Der Scharfschütze bewegte sich keinen Millimeter. Der Blick der Kamera haftete wie festgeschraubt auf dem Hinterkopf des Geiselnehmers. Dreimal.
    Ira sog hörbar die Luft ein und hielt sie an. Viermal.
    Mitten im fünften Klingeln wurde abgehoben.

15.
    Sonya Hannemann war vierundzwanzig Jahre alt, leidenschaftliche Stammhörerin von 101Punkt5 und lag im Tiefschlaf. Als sie um 8.29 Uhr von einem Leben in einer Jugendstilvilla am Hertha-See träumte, übertrugen bereits vier Radiosender der Konkurrenz das Live-Programm ihres Lieblingssenders, um die Bevölkerung über das tödliche Spiel zu informieren. Sonya aktivierte um 8.32 Uhr in der unterirdischen Schwimmhalle ihrer erträumten Villa den Tageslicht-Beamer. Während sie im olympischen Pool ihre Runden drehte, unterbrach der lokale TV-Sender gerade eine Wiederholung seiner Diät-Kochshow für eine Nachrichtensondersendung. Alle fünf Minuten wurden die Zuschauer jetzt darüber informiert, wie sich jeder am Telefon melden sollte, um das Schlimmste zu verhindern. Zu diesem Zeitpunkt war die Homepage von 101Punkt5 im Internet bereits wegen Überlastung zusam-mengebrochen.

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