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Amokspiel

Amokspiel

Titel: Amokspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Fitzek
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vergessen hatte, wie schön die Zeit gewesen war, als sie noch Auftritte in den drittklassigen Berliner Hinterhofkneipen bestritten. Und dass es ihr erst wieder einfiel, als sie von einem Geiselnehmer und Mörder danach gefragt wurde. »Musik ist eine gute Antwort«, sagte Jan. »Bei manchen ist es Sex. Bei einigen der Sport. Und bei mir war es die Arbeit. Ich war Psychologe. Ich war ganz gut. Führte meine eigene Praxis und musste mir über Geld keine Sorgen machen. Aber das ist nicht das Wesentliche. Kennen Sie den Unterschied zwischen Job und Beruf? Für mich war das Praktizieren kein Job, sondern ein Beruf, weil dieses Wort sich für mich von >Berufung< ableitet. Ohne meine Arbeit kann ich nicht existieren. Und die haben sie mir genommen.«
    »Wer sind die? Und wie haben die das gemacht?«
    »Nun, als ich die ersten Fragen stellte, da gab man sich noch freundlich. Der Mann vom Bezirksamt zeigte mir den Totenschein. Die Polizei gab mir das Autopsiefoto. Doch als ich Leonis Leiche sehen wollte, wiegelten sie ab. Nicht möglich. Dann wollte ich Einsicht in die Ermittlungsakten haben, die sich mit dem angeblichen Unfall beschäftigen. Immerhin war der Wagen ja explodiert.« »Explodiert?« Ira erinnerte sich an die Zeitungsfotos, die ihr Götz gerade gezeigt hatte.
    »Ja. Schon ungewöhnlich, wenn auf einmal zwei Reifen abfallen. Aber das gab ja erst den Anstoß für den Kurzschluss in der Lichtmaschine. Kabelbrand. Verursacht durch ein falsches Ersatzteil, das ich angeblich selbst eingebaut haben soll. Ich! Dabei breche ich mir schon beim Ölstandmessen fast die Hände. Niemals würde ich freiwillig an einer Lichtmaschine rumschrauben. Aber das ist praktisch, oder?«
    »Wie meinen Sie das?«
    »Na ja, der Hersteller ist fein raus, weil es nicht sein Fehler war. Und ich kann mich nirgendwo beschweren, weil die Versicherung der Werkstatt für alle Schäden aufkam. Aber es kommt noch besser.«
    Ira schrieb beim Zuhören eine Erinnerung auf einen gelben Post-it-Zettel und pappte ihn auf den Ordner mit dem Obduktionsbericht. Wo ist die Ermittlungsakte?
    »Ich wollte das Auto sehen. Es war natürlich schon verschrottet. Können Sie sich das vorstellen? Der Tank fliegt in die Luft, meine Freundin verbrennt, aber es gibt kein Verfahren wegen fahrlässiger Tötung? Stattdessen gehen auf meinem Konto einhundertfünfundzwanzigtausend Euro von der Versicherung ein. Und noch mal einhunderttausend Euro vom Hersteller. Ohne Gerichtsverfahren, ohne Urteil. Obwohl es offiziell hieß, ich wäre schuld.«
    »Das klingt unglaublich.«
    »Abwarten, es kommt noch besser: Ich wollte den Fall publik machen und schrieb an so ziemlich jede TV-, Zei-tungs- und Radioredaktion, die ich kannte. Sogar hier an 101Punkt5. Doch niemand antwortete mir. Stattdessen bekam ich Besuch von zwei Herren, vermutlich vom Bundesnachrichtendienst. Sie gaben mir sehr deutlich zu verstehen, was mit mir geschehen würde, wenn ich nicht augenblicklich meine Nachforschungen einstellen würde.«
    »Doch sie hörten nicht auf?«
    »Nein. Und die beiden Kollegen in ihren schwarzen Anzügen hielten Wort. Als Erstes fand man bei einer Geschwindigkeitskontrolle Drogen in meinem Kofferraum. Die Kammer entzog mir ohne Anhörung meine Zulassung. Und nahm mir damit das Einzige, was mir neben der Trauer um Leoni noch geblieben war. Meinen Beruf.«
    »Hören Sie ...«
    Ira griff dankbar nach dem Pappbecher, den Herzberg ihr reichte, und nahm einen Schluck. Entweder er hatte ihre spröden Lippen und den hauchdünnen Schweißfilm auf der Stirn gesehen oder die bereits angestaubte Stimme be-merkt. Vielleicht steckte in seiner Milchbubi-Haut doch ein aufmerksamer Gentleman.
    »Das hört sich alles sehr schlimm an, Jan. Fast unglaublich. Und ich merke, dass ich nicht mal annähernd nachvollziehen kann, was Sie in den letzten Wochen durchmachen mussten. All das, was Sie mir erzählt haben, ist sicher ungerecht, zynisch und grausam. Es ist womöglich ein Beweis für die Willkür unseres Staates, in dem einige Menschen mehr Rechte haben als andere. Aber es ist kein Beweis dafür, dass Leoni noch lebt.« Sie nahm einen zweiten Schluck. Das Wasser war kalt. Jedoch nicht so kalt wie Jans letzte Worte, bevor er die Verbindung wieder unterbrach.
    »Ich denke, wir verschwenden unsere Zeit, Ira. Wir sollten nicht reden, sondern lieber das tun, wofür wir eigentlich hier sind. Sie finden Leoni. Und ich spiele Cash Call.«

8.
    In dem kleinen Radiostudio stand die Luft. Die schallisolierte

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