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Amokspiel

Amokspiel

Titel: Amokspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Fitzek
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macht Sie da so sicher?«
    Jan kratzte sich mit der Pistole am Nacken.
    »Ich lass jetzt mal den ganzen Irrsinn weg, der sich allein in der letzten halben Stunde ereignet hat, seitdem ich über Leoni im Radio geredet habe, Ira. Sie können sich ja nicht mal annähernd vorstellen, was hier los ist.«
    Er warf einen schnellen Blick auf die dreiunddreißig weinroten Lämpchen der Telefonanlage neben dem Studiomischpult, die rhythmisch im Gleichtakt blinkten. Nach den ungläubigen Blicken des Showproduzenten zu urteilen, hatte selbst ein erfahrener Radioprofi wie er noch nie zuvor ein solches Dauerfeuerwerk erlebt. »Alle Leitungen sind besetzt. Ununterbrochen. Können Sie das glauben, Ira? In der ganzen Stadt, was sag ich, mittlerweile im ganzen Land wollen die Menschen mit mir sprechen. Und jeder Zweite hat angeblich Hinweise, wo Leoni steckt.«
    Jan sah wieder zum Fernseher hoch. Seitlich neben dem Nachrichtensprecher prangte nun ebenfalls das Bild seiner Verlobten. Danach wechselte die Einstellung, und das MCB-Gebäude füllte den leicht angestaubten StudioBildschirm aus. Anscheinend waren es Archivaufnahmen, oder das Hochhaus wurde gerade aus einem Hubschrauber gefilmt.
    »Eine vierundvierzigjährige Frau aus Tübingen war der Meinung, sie hätte Leoni gestern per Anhalter mitgenommen«, redete Jan weiter. »Ein älterer Mann aus Kladow wollte Geld haben, wenn er mich zu ihr bringt. Einer bot mir sogar Nacktfotos an.«
    »Sie haben die Geister gerufen.«
    »Nein!«, widersprach Jan heftig. »Das habe ich nicht. Es ist nicht meine Schuld. All das hätte nicht so weit kommen müssen. Irgendjemand da draußen spielt ein falsches Spiel mit mir. Jemand mit höchstem Einfluss und größter Macht. Entweder ich locke ihn heute aus der Reserve, oder es werden viele Menschen sterben.«
    »Wenn ich ehrlich bin, verstehe ich Sie nicht«, hörte er Ira sagen. Sie klang glaubwürdig verwirrt. »Also gut, Ira.« Jan sah auf die große Studiouhr. »Wir haben noch etwa vierzig Minuten bis zur nächsten Spielrunde. Aber so lange wird es gar nicht dauern. Ich erzähle Ihnen jetzt mal eine Geschichte. Meine Geschichte.«

7.
    Wo ist Diesel?
    Ira formte die Worte lautlos mit den Lippen, während sie sich das Headset aufsetzte, auf das sie den Studioanruf umgeleitet hatte, um beim Telefonieren durch den Raum gehen zu können. Herzberg zuckte nur kurz mit den Achseln und tippte dann weiter irgendetwas in seinen Computer. Auch Igor sah sie nur fragend an. Beide hatten die Verhandlungszentrale erst vor wenigen Sekunden wieder betreten, nachdem Steuer ihnen Gott weiß was für Instruktionen gegeben hatte, nur der Chefredakteur war von seinem Gang zur Kaffeeküche noch immer nicht zurückgekehrt.
    »Es war mir immer bewusst, dass ich privilegiert war, Ira. Ich stand mein gesamtes Leben lang auf der Sonnenseite«, hörte sie Jan sagen, und es schwang ein leises Bedauern in seiner Stimme mit. »Ich besaß alles, was man sich nur wünschen kann: einen angesehenen Beruf, ausreichend Geld und eine wunderhübsche Frau. Doch eines Tages, wie aus heiterem Himmel, wird mir alles Stück für Stück wieder entrissen. Meine Freundin wird entführt, ich stelle Nachforschungen an, und von diesem Moment an zerbricht mein Leben zu einem wertlosen Scherbenhaufen.«
    »Moment! Warum glauben Sie, jemand hätte Leoni entführt?«, hakte Ira nach.
    »Nicht jemand. Der Staat.«
    »Das klingt etwas ...«
    »Unglaubwürdig? Ich weiß. Aber nur der Staat hat die Macht, das zu tun, was mir angetan wurde.«
    »Was wurde Ihnen angetan?«
    »Gegenfrage: Mal abgesehen von der Liebe. Was macht einen Menschen aus? Was brauchen Sie, um zu existieren? Um zu atmen. Um morgens die warme Decke zurückzuziehen und den Fuß in die kalte Welt zu setzen?« Meine Kinder, schoss es Ira als Erstes durch den Kopf. Aber Liebe hatte er ja ausgeklammert. »Ich meine: Worauf könnten Sie wirklich nicht verzichten? Was darf man Ihnen nicht wegnehmen, weil Sie sonst nur noch ein Schatten wären?«
    »Ich weiß nicht«, zögerte Ira. »Vielleicht meine Musik.« In dem Moment, als sie es aussprach, wünschte sie sich schon, sie könnte es wieder zurücknehmen. Tatsächlich war sie sich überhaupt nicht klar darüber, warum sie es überhaupt gesagt hatte. Früher, in einem anderen Leben, hatte sie sehr viel Musik gemacht. Schlagzeug gespielt. Viele Jahre lang hatte sie Unterricht genommen und noch länger zahlreiche Bands mit ihrem Einsatz zusammengehalten. Es war ihr fast peinlich, dass sie

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