Amokspiel
heißen? Wo hast du ihn denn überhaupt hingeschickt?«
»Ich kann jetzt wirklich nicht darüber sprechen«, wiederholte Götz. Diesmal war unverhohlene Wut aus seinem zischenden Flüstern herauszuhören. Iras Gummisohlen quietschten auf dem grauen Spritzbetonboden der Stufen.
»Na schön. Ich bin gleich bei dir. Dann bist du mir eine Erklärung schuldig. Stell bis dahin schon mal die Verbindung her. Ich will Kontakt zu Katharina.«
»Und was ist, wenn sie nicht will?« Ira blieb kurz auf dem Treppenabsatz im achten Stock stehen und atmete schwer in den Hörer. Ihre mangelnde Kondition lag nicht nur an der einjährigen Trainingspause. Kaum auszudenken, wie sie sich fühlen würde, wenn sie die Etagen wieder nach oben rennen müsste. »Hat sie das etwa gesagt?«
»Hör mal, Ira. Ich verstehe dich. Aber du kannst jetzt nichts für deine Tochter tun«, wich Götz der Frage aus. »Außerdem ist es ein ungünstiger Zeitpunkt für ein Gespräch. Der nächste Cash Call wird jeden Augenblick losgehen.«
»Das ist der beste Zeitpunkt«, widersprach sie und hustete kurz. Ihr Mund war so trocken, als ob sie ihn mit Löschpapier ausgerieben hätte. »Dadurch ist Jan abgelenkt. Ich muss sofort mit ihr sprechen und sie warnen. Außerdem kann Kitty uns vielleicht Informationen geben, die ich für die Verhandlung brauche. Womöglich hat sie etwas gesehen, was wir hier draußen nicht hören konnten.« Die Tür in den Hauptflur vom sechsten Stock flog auf, und ein Polizist vor den Notausgängen zuckte zusammen, als Ira aus dem Treppenhaus hereinstürmte. Sie bog in den Flur Richtung Einsatzzentrale und kam keine vier Schritte weit. Sie prallte auf Götz, der sie wie ein American-Football-Spieler abfing, ihr den Arm verdrehte und sie wie einen Sträfling in den kleinen Raum drängte, vor dem er auf sie gewartet hatte.
»Bist du jetzt völlig übergeschnappt?«, schrie sie ihn an, als die Tür hinter ihnen ins Schloss fiel und er das Licht anmachte.
Ira sah sich wütend um. Der Raum war einer von der fensterlosen Sorte, die man in modernen Bürokomplexen häufiger antrifft und bei denen jeder vernünftige Mensch sich fragt, was den Architekten eigentlich geritten haben mag, so was in seine Baupläne aufzunehmen. Für ein Lager zu klein und als Abstellkammer zu groß, war er momentan mit unnützem Krempel vollgestellt, den niemand vermissen würde, wenn man ihn einfach wegschmiss. Götz lehnte sich an die graue Kunststofftür und nahm Ira damit jede Chance, an ihm vorbeizukommen. »Was soll das Affentheater ...?«
Der Finger an seinen Lippen ließ sie innehalten. Sie beobachtete verwundert, wie er ein kleines Radiogerät aus der Innentasche seiner schwarzen Lederjacke hervorholte, die er über der kugelsicheren Weste trug. Er stellte es auf volle Lautstärke, und »Don't speak« von »No Doubt« hallte unangenehm von den nackten Betonwänden. Götz zog Iras Körper ganz nah zu sich, und für einen Moment dachte sie schon, er würde die Situation allen Ernstes für ein Techtelmechtel ausnutzen wollen. »Wir müssen vorsichtig sein«, raunte er in ihr Ohr. »Jemand spielt gegen uns.«
»Wer?«, flüsterte sie zurück. Ihre Wut auf Götz hatte sich von einer Sekunde auf die andere zu einem Gefühl gewandelt, das sie zuletzt vor ihrer Examensprüfung gespürt hatte. Eine adrenalingesteuerte Mischung aus Angst, Abenteuerlust und Übelkeit. Nur dass es damals viel schwächer gewesen war.
»Ich habe keine Ahnung«, antwortete Götz. Seine Lippen berührten beinahe ihr Ohrläppchen. »Jemand aus dem engeren Kreis. Ein Maulwurf. Vielleicht ist es Steuer selbst.«
»Aber warum sollte er? Wie kommst du darauf?«
»Ich erhalte fast keine brauchbaren Informationen. Die Akte von Jan zum Beispiel. Steuer sagt, es gäbe keine. Dabei hat Diesel herausgefunden, dass er eine Anklage wegen sexuellen Missbrauchs und Drogenbesitzes an der Backe hat. Jetzt sagt Steuer mir, das wäre nicht so wichtig. Er treibt die Stürmung um jeden Preis voran. Und ich glaube, er will etwas vertuschen.«
»Was ist mit den Geiseln? Diesel hat mich kurz vor meinem Treffen mit Faust angerufen und etwas angedeutet.«
»Ja, richtig.« Götz blinzelte, als ob er etwas ins Auge bekommen hätte. »Diesel hat da eine Vermutung. Er hat die Hörerdatenbank überprüft. Vier von den fünfen hätten die Senderführung gar nicht gewinnen dürfen.«
»Wieso?«
»Weil diese Studiobesuche hochbegehrt sind und nur an langjährige Stammhörer vergeben werden. Die meisten Geiseln
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