Amokspiel
Die wollen mich fertigmachen. Ich habe Ihnen doch gesagt, dass sie mein Leben systematisch ruiniert haben. Erst nahmen sie mir Leoni weg. Dann meine Zulassung. Und zuletzt meine Ehre. Deswegen sind wir doch hier, Ira. Deswegen musste ich Geiseln nehmen.«
»Und töten?«
»Es gibt immer einen Grund«, antwortete Jan leise, und jeder Zuhörer wusste, dass er beides meinte: die Hinrichtung im Studio und den Selbstmord von Iras Tochter.
Ein elektronisches Alarmsignal wie das Klingeln eines billigen Reiseweckers ertönte, und Diesel sah irritiert auf sein Armaturenbrett, bis er merkte, dass es aus dem Radio kam.
»Es ist wieder so weit, Ira. Die nächste Runde.«
»Jan ...«, wollte Ira einsetzen, doch der Geiselnehmer ließ sie gar nicht erst weiterreden.
»Sparen Sie sich die Worte. Sie hatten Ihren Aufschub. Sie haben ihn nicht sehr sinnvoll genutzt.«
»Sie haben Recht. Ich bin noch nicht viel weitergekommen. Aber ich kann nicht gleichzeitig mit Ihnen reden und recherchieren. Ich erhalte meine Informationen nur scheibchenweise. Geben Sie mir noch etwas mehr Zeit.«
»Nein.«
»Aber warum können wir nicht einfach jetzt weiterreden? Lassen Sie diese Spielrunde ausfallen. Wir sprechen darüber, wie Ihr Leben zerstört wurde. Und über Sara. Lassen Sie uns gemeinsam eine Antwort finden. Warum das alles hier passiert. Was Ihnen angetan wurde. Und Sara. Und mir. Okay? Nur legen Sie jetzt nicht auf. Wir sollten nicht unterbrechen, es läuft doch gerade so gut, finden Sie nicht?«
Nein, nein, nein, dachte Diesel. Das wird nichts, du klingst zu flehend.
Er schüttelte energisch den Kopf, während er nervös mit der flachen Hand auf das Holzlenkrad klopfte. »Kann ich Ihnen vertrauen?«, fragte Jan May nach einer längeren Pause im Äther. Diesel stellte das Radio noch lauter, obwohl er keine Probleme hatte, das Gespräch zu verstehen.
»Wieso fragen Sie das? Ich war bisher immer offen und ehrlich zu Ihnen. Ich bin nicht dafür verantwortlich, dass man Ihnen einen Scharfschützen durch die Lüftung geschickt hat.«
»Ja, das weiß ich.«
»Dann lassen Sie die Runde ausfallen. Lassen Sie uns weiter reden.«
»Ich würde es ja gerne.«
»Okay, dann ...«
»Aber ich muss erst noch etwas testen.«
»Was meinen Sie damit? Was wollen Sie testen?«
»Das erfahren Sie gleich.« Er legte auf.
15.
»Was meint er mit >Test Geht bei euch in der Einsatzleitung irgendetwas vor, wovon ich nicht weiß?« Ira sprach mit Götz über ihr privates Handy, damit die andere Leitung für Jan frei blieb. Auch wenn kaum zu befürchten war, dass er sie in den nächsten Minuten anrief. In wenigen Sekunden würde die nächste Cash-Call-Runde seine gesamte Aufmerksamkeit in Anspruch nehmen.
»Ich unternehme gar nichts«, antwortete Götz. Seine Stimme klang, als spräche er durch ein Taschentuch. Dumpf und etwas nasal. »Das Team ist noch nicht so weit. Wir wissen nicht, wie wir den Lärmfaktor ausschalten sollen, wenn wir durch den Fußboden kommen.«
»Gut.« Sie drückte auf den Fahrstuhlknopf mit dem Pfeil nach unten, entschied sich dann aber doch für den Weg über das Treppenhaus, damit die Handy-Verbindung in dem abgeschirmten Lift nicht abriss. Ira fühlte eine kleine Erleichterung darüber, dass der Lähmungsschuss noch nicht zum Einsatz kommen würde. Sie fürchtete einen Fehlschlag. Wenn sie sich heute das Leben nahm, dann bitte nicht mit der Gewissheit, auch noch ihre zweite Tochter auf dem Gewissen zu haben. »Ich muss mit Katharina reden. Sofort.«
»Das ist keine gute Idee, Ira.«
»Das Ganze hier ist keine gute Idee, also hör mir auf mit dem Mist«, sagte sie, während sie immer zwei Treppenstufen auf einmal nahm. »Ich weiß genau, was Diesel über die Geiseln herausgefunden hat und was du mir nicht erzählen willst. Sie sind eingeweiht, richtig? Sie sind keine Opfer, sondern Täter.«
»Das wissen wir noch nicht. Ja, möglicherweise hat Jan einen Komplizen da drinnen.«
»Oder mehrere. Was bedeutet, dass Katharina in noch größerer Gefahr ist. Hast du mir deshalb nichts gesagt?« Ira wertete die lange Pause als Zustimmung. »Du Mistkerl. Du vertraust einem dahergelaufenen Chefredakteur mehr als mir. Hast du vergessen, wie viele Einsätze wir zusammen hatten?« Und wie oft wir in die Kiste geklettert sind?, hätte sie fast ergänzt. »Du weißt gar nichts über ihn und machst ihn zum Hilfssheriff. Herrgott, was ist nur in dich gefahren?«
»Ich kann nicht darüber reden.«
»Wie bitte? Was soll das
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