Amokspiel
muss ich erst einmal wissen, auf wen Sie geschossen haben.«
»Nun, vielleicht sage ich es Ihnen, wenn Sie mir verraten, was da gerade für ein Betrug abgelaufen ist?«
Sie dachte kurz über eine Ausrede nach, entschied sich dann für die Wahrheit.
»Die Anrufe aus dem Studio wurden umgeleitet.«
» Wohin? «
»In ein Callcenter. Zu einem entsprechend instruierten Beamten, der sich natürlich mit der richtigen Losung meldete.«
»Aha. Und wie habe ich das wohl herausgefunden?« Ira hatte das Gefühl, als ginge ihr Atem doppelt so schnell wie sie selbst. Sie musste sich fast zwingen, nicht zu hecheln, als sie ihm antwortete.
»Sie haben sich selbst angerufen. Auf Ihrem eigenen Handy.«
Es hätte besetzt sein müssen. Auf gar keinen Fall hätte jemand rangehen dürfen. Steuer war so ein Idiot. Wie konnte er diese Möglichkeit nur übersehen? »Richtig geraten. Wie haben Sie die Fünfhunderttausend Euro-Frage geknackt, Ira? Hatten Sie einen Telefonjoker?«
»Ich verstehe, dass Sie wütend sind. Ich weiß, dass Sie denken, ich hätte Sie angelogen. Doch damit hatte ich nichts zu tun. Die Leitungen wurden ohne mein Wissen manipuliert.«
»Gut, gesetzt den Fall, ich glaube Ihnen. Wieso sollte ich meine Zeit dann noch mit Ihnen verschwenden? Anscheinend haben Sie da draußen überhaupt gar keinen Einfluss. Sie werden ja noch nicht mal in die Einsatztaktik eingeweiht.«
»Sie wollten mir sagen, auf wen Sie geschossen haben«, ignorierte sie die Vorwürfe. Sie brauchte Informationen. »Auf niemanden.« Kurze Pause. Dann ergänzte er: »Noch nicht.«
»Gut.« Ira blieb stehen. Hielt sich am Treppengeländer fest und beugte sich nach vorne, als müsse sie sich auf die grauen Betonstufen übergeben. »Sehr gut.«
Ihre Erleichterung über die gute Nachricht währte nur kurz.
»Aber das werde ich gleich nachholen«, zischte Jan. »Jetzt sofort. Und ich habe mich schon entschieden. Diesmal werde ich mich nicht mit einem Opfer zufriedengeben.« Natürlich, du Mistkerl. Du willst mich bestrafen. Mit der Schwangeren.
Iras Atmung hatte sich noch nicht beruhigt. Trotzdem ging sie weiter. Zwei mannshohe blaue Zahlen auf dem trostlosen Spritzbeton verrieten ihr, dass sie erst im zwölften Stock angelangt war.
»Ich verstehe Sie«, log Ira. »Aber Sandra Marwinski ist eine werdende Mutter. Sie und ihr Baby haben nichts mit der schlimmen Lage zu tun, in der Sie jetzt gerade stecken.«
»Ha!«
Ira zuckte zusammen, als hätte Jan sie durch das Telefon ins Gesicht gespuckt.
»Hören Sie doch mit den Taschenspielertricks auf. Mutter, Baby, glauben Sie, indem Sie diese Worte benutzen, wird meine Hemmschwelle raufgesetzt? Ich hab nichts mehr zu verlieren, Ira.«
Ich auch nicht, dachte sie und wäre im nächsten Moment fast hingefallen. Die Schnürsenkel ihrer knöchelhohen Leinenturnschuhe waren aufgegangen, und sie stolperte wie ein schlaksiges Schulmädchen über ihre eigenen Füße.
»Wie ich schon sagte: Jede weitere Verhandlung mit Ihnen ist Zeitverschwendung.«
Dreizehnter Stock. Die Zahlen waren lieblos auf die Flurwände gepinselt worden, so als ob sich der Innenarchitekt gar nicht vorstellen konnte, dass es irgendwann mal jemanden aus dem exklusiven Inneren des MCB-Kom-plexes in dieses triste Treppenhaus verschlagen würde. Ira versuchte einen schwachen Gegenangriff. »Wenn Sie jetzt auflegen, dann verlieren Sie den einzigen Menschen hier draußen, der Ihnen garantiert nichts getan hat.«
»Aber genau das ist ja das Problem, Ira. Sie haben nichts getan. Wie damals bei Sara. Hab ich Recht?« Aus professioneller Sicht hätte ihr klar sein müssen, dass er wütend war und sie verletzen wollte. Nur gelang Ira in diesem Moment keine professionelle Sichtweise. Sie war selbst aufgebracht und sagte besser nichts, damit ihre aggressiven Emotionen sich wechselseitig hochpeitschen würden.
»Unterhalten wir uns nur aus diesem Grund, Ira? Weil Sie Ihr Trauma überwinden wollen? Weil Sie die Katastrophe damals bei Ihrer Tochter nicht verhindern konnten? Wollen Sie es heute wiedergutmachen? Ja, ich glaub, das ist es.« Jan lachte. Iras Aggressionspegel stieg weiter an. »Sie verhandeln doch nur aus einem einzigen Grund mit mir. Ich bin für Sie nichts anderes als ein Medikament, mit dem Sie Ihren Schmerz betäuben wollen.« Obwohl er die Wahrheit nur streifte, trafen seine Worte Ira irgendwo zwischen dem vierzehnten und fünfzehnten Stock wie ein Querschläger. Jetzt konnte sie es nicht mehr zurückhalten. Statt stehen zu
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