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Amokspiel

Amokspiel

Titel: Amokspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Fitzek
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wohnte in Spandau. In einer Maisonettewohnung wie dieser hier. Nur kleiner.« Ira zog die Nase hoch. »Als ich endlich bei ihr ankam, stand die Eingangstür offen, und da wusste ich, es war zu spät. Ich rannte hinein, und als Erstes sah ich den Zettel.«
    »Ihren Abschiedsbrief?«
    »Nein.« Ira schüttelte heftig den Kopf. »Oder ja, so etwas in der Art, vielleicht.«
    »Was stand drauf?«
    »Geh nicht weiter, Mama!« Ira sah zu Götz hoch, der sie trotz seiner knienden Position immer noch einen halben Kopf überragte.
    »Auf jeder Stufe der Treppe lag ein anderer Zettel: >Nicht weitergehen!<, >Hol den Krankenwagen!<, Erspar dir den Anblick!<. Ich sammelte alle Blätter ein, während ich Stufe für Stufe nach oben schritt. Langsam, wie in Trance. Aber ich hielt mich nicht an Saras letzten Willen.« Dicke Tränen rannen jetzt Iras Gesicht hinunter. »Auf dem vorletzten Absatz wollten meine Beine tatsächlich nicht mehr gehorchen. >Ich liebe dich, Mama<, stand auf dem Blatt. Doch dann sah ich die letzte Stufe .«
    »Was war da?« Götz küsste ihr eine Träne weg, beugte sich nach vorne und drückte ihren bebenden Körper an sich.
    »Nichts«, weinte Ira. »Gar nichts. Ich rannte in das Badezimmer, aber es war natürlich zu spät. Ich konnte nichts mehr für Sara tun. Doch wann immer ich jetzt daran denken muss, verfolgt mich diese letzte Stufe. Egal, ob ich schlafe oder die Erinnerungen mich am helllichten Tag einkreisen. Ich werde das Gefühl nicht los, dass da ein Zettel gefehlt hat. Meine Tochter wollte mir noch etwas sagen, aber ich habe das letzte Blatt nie lesen dürfen!«
    Jan winkte die verstörte Gruppe mit seiner Waffe wieder zurück ins Studio. Sie gehorchten widerwillig, aber sie gehorchten.
    Er riss Kittys Kopf nach oben und stieß sie von sich weg. Dann befahl er Timber und Flummi, das Metallregal mit den Archiv-CDs vor den Eingang zum Erlebnisbereich zu wuchten, damit auch dieser Fluchtweg vorerst wieder versperrt war.
    Mein Gott, was tue ich hier eigentlich?, fragte sich Jan, während er wieder an das Mischpult trat. Mittlerweile wusste er, wo sich der Schieberegler für das Mikrophon befand. Er unterbrach einen frühen Achtziger-Jahre-Hit von Billy Idol und ging auf Sendung: »Hier ist 101Punkt5, und ich muss eine weitere Regeländerung durchgeben.«
    Er konnte sich selbst kaum verstehen, so laut war immer noch das durch die Schallkanone ausgelöste Klingeln in seinen Ohren. Auch sonst fühlte er sich elendig und verbraucht. Der Schweiß lief ihm in einem steten Rinnsal den Nacken herunter.
    Lange halte ich das nicht mehr durch. Er hustete kurz, bevor er weitersprach. »Nach den jüngsten Entwicklungen sieht es ja ganz so aus, als ob ihr da draußen Lust auf eine finale Runde habt. Ihr wolltet mich töten? Ihr wolltet das Studio stürmen? Na schön. Wenn ihr das Spiel unter verschärften Bedingungen spielen wollt, dann könnt ihr das gerne haben.« Er hustete wieder, diesmal bei geöffnetem Mikro. »Das nächste Mal geht es um alles oder nichts. Ich werde wieder eine Nummer anrufen. Egal, ob Handy oder Festnetz. Ob Firmen- oder Privatanschluss. Wir spielen mit höherem Risiko, aber auch mit höherem Einsatz. Sollte jemand mit der richtigen Parole drangehen, lasse ich alle Geiseln frei.« Jan sah in die Runde. »Aber falls nicht, werde ich alle töten.« Er sah auf die blutrote LED-Anzeige der Studiouhr. »Nächste Stunde - nächste Runde!«

43.
    Ira fühlte sich schuldig. Schuldig, weil sie die klare Flüssigkeit in dem schweren Wodkaglas von Götz' Nachttisch gierig heruntergekippt hatte. Schuldig, weil sie gerade ihre weiße Bluse aufknöpfte, um ein Bad zu nehmen, während ihre Tochter nur wenige hundert Meter von ihr entfernt in Lebensgefahr schwebte. Aber am meisten fühlte sie sich schuldig, weil sie mit Götz intim geworden war. Nicht körperlich, aber durch das Gespräch über Saras letzten Weg auf eine noch wesentlich intensivere Art. Sie hielt ihre Hand in den dampfend heißen Strahl, der sich aus einem breit geschwungenen Edelstahlhals in die whirlpoolgroße Badewanne ergoss. Hinter ihr klopfte es an der Tür.
    »Moment.« Sie hielt ihre Bluse vorne zusammen, während sie barfuß über die kalten Fliesen tapste. »Was vergessen? Du hast Glück, dass ich mich noch nicht ausgezogen .«
    Ihr Gesicht erstarrte zu einer Maske. Sie reagierte eine halbe Sekunde zu langsam. Die Badezimmertür prallte an dem Fallschirmspringerstiefel ab, als sie sie wieder zuschlagen wollte. Kurz darauf schlug

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