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Amokspiel

Amokspiel

Titel: Amokspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Fitzek
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der maskierte Mann ihr das Holzblatt mit voller Wucht ins Gesicht, als er gewaltsam in den Raum eindrang. Benommen hielt sie sich beim Fallen an einem Handtuchregal fest und riss es mit seinem Inhalt zu Boden. Das Letzte, was sie spürte, war die Injektionsnadel in ihrem Hals und das kurz darauf einsetzende Taubheitsgefühl. Es fühlte sich an wie die örtliche Betäubung beim Zahnarzt, nur dass diese sich jetzt auf den gesamten Körper erstreckte. Dann wurde alles schwarz. Sie war bereits bewusstlos, als der Killer sie, leise summend, auf dem Badezimmerboden ausstreckte. Mit der Melodie von »I did it my way« auf den Lippen knöpfte er ihr die Bluse zu, zog ihren langsam kälter werdenden Füßen die Turnschuhe wieder an, die sie vorhin achtlos neben die Toilette geworfen hatte, und wickelte sie in einen dicken weißen Frottee-Bademantel. Jetzt musste er sie nur noch entsorgen.

III. Teil
    I don't want to start any blasphemous rumors But I think that God's got a sick sense of humor And when I die I expect to find Him laughing.
    Depeche Mode
    Aber die beste und sicherste Tarnung, finde ich, ist immer noch die blanke und nackte Wahrheit. Komischerweise. Die glaubt niemand.
    Max Frisch Biedermann und die Brandstifter

1.
    D ie geöffnete Flasche warf ihr bernsteinfarbenes Lächeln in den abgedunkelten Raum, während sie, wie von Geisterhand gehalten, der Schwerkraft trotzte. Eigentlich müsste sie umkippen und ihren hochprozentigen Inhalt auf dem keimverseuchten Teppich verteilen, doch ebenso wie das schwere Bleikristallglas blieb die Flasche einfach an der Wand kleben.
    Ira blinzelte mehrmals, dann hatte sich ihr Gleichgewichtssinn wieder etwas gebessert. Für einen kurzen Moment hatte sie geglaubt, an einer Wand zu lehnen, doch dann fühlte sie den Druck, der ihren Körper auf das harte Holzbrett presste. Sie stand nicht, sie lag. Aber wo? Ira versuchte, ihre Position zu verändern, auch weil sie hoffte, dadurch den migräneartigen Brechreiz etwas besser in den Griff zu bekommen, aber es gelang ihr nicht mal ansatzweise. Weder ihr Oberkörper noch ihre Beine wollten sich bewegen.
    »Was soll das denn werden?«, hörte sie eine amüsierte Stimme. »Machen Sie Liegestütze?« Ira drehte sich mit enormer Kraftanstrengung auf den Rücken und sah ein verschwommenes Gesicht über sich schweben. Sie hob ihren Kopf, und langsam erfasste sie ihre Umgebung. Flaschen, Gläser, eine Spüle. Kein Zweifel. Sie befand sich in einer Kneipe. Das Holzbrett unter ihrem Rücken war ein Tresen.
    »Wer sind Sie?«, nuschelte sie. Ihre betäubte Zunge lag wie ein toter Fisch in ihrem ausgetrockneten Mund und erzeugte die kaum verständlichen Sprechlaute eines Schlaganfallpatienten.
    »Entschuldigen Sie bitte die Nebenwirkungen des Betäubungsmittels«, heuchelte die Stimme Mitleid. »Ich wollte nur sichergehen, dass Sie es rechtzeitig zu unserer Verabredung schaffen.«
    Ira fühlte, wie sie von zwei Händen gepackt, hochgerissen und wie eine Schaufensterpuppe auf einen Barhocker gesetzt wurde. In ihrem betäubten Gehirn rollierten die Bilder ihrer Umgebung. Als sie sich wieder eingependelt hatten, war der Mann hinter ihr verschwunden, und vor ihren Augen baute sich ein bekanntes Gesicht auf. Es prangte derzeit auf fast jeder Titelseite: Marius Schuwa-low, genannt »Der Streichler«. In zwei Tagen sollte dem Ukrainer der Prozess gemacht werden. Doch niemand ging ernsthaft davon aus, dass man ihn dieses Mal verurteilen würde. Wegen der dünnen Beweislage war er sogar auf Kaution draußen. Der Kopf des organisierten Verbrechens hatte alle Zeugen manipuliert, bestochen oder aus dem Weg »gestreichelt«.
    Sein Beiname war wörtlich gemeint. Für die Streicheleinheiten benutzte er in Flusssäure getränkte Spezialhandschuhe. Das war seine Spezialität. Er massierte die Haut seiner Opfer, die man dazu nackt auf einen Obduktionstisch schnallte, so lange mit dem tödlichen Fluorwasserstoff, bis Gewebe und Muskelfleisch so weit verätzt waren, dass die Delinquenten verbluteten. Meistens kollabierten schon vorher ihre Lungen durch die giftigen Gase, die sie während ihrer Todesschreie einsogen. »Darf ich Ihnen etwas anbieten?«, fragte Schuwalow jetzt und deutete wie ein Barkeeper auf die Flaschensammlung hinter ihm. »Sie sehen aus, als ob Sie einen Schluck vertragen könnten, Frau Samin.«
    Er sprach akzentfreies Hochdeutsch. Schuwalow hatte jahrelang in London und Tübingen sowohl Jura als auch Wirtschaftswissenschaften studiert und dank seines

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