Amokspiel
gegeben hatte. Wahrscheinlich wollte er einer Revolte zuvorkommen und spielte bei der letzten Spielrunde um alles oder nichts. Er hatte angekündigt, entweder alle Geiseln freizulassen - oder sie alle zu töten.«
»Und warum ist Kitty dann noch in seiner Gewalt?« Ira kratzte nervös das Etikett von dem Schmerzmittel-fläschchen in ihren Händen.
»Nun, der letzte Cash Call hat nur halb funktioniert.«
»Was soll das heißen?«
»Zuerst nahm ein kleiner Junge ab, bevor die Mutter ihm den Hörer entreißen und die richtige Parole sagen konnte.«
»Das darf nicht wahr sein.«
»Herzberg wollte mit dem Wahnsinnigen reden, aber er kam zunächst gar nicht ins Studio durch. Als Jan das Gespräch endlich annahm, gab es ein langes Hin und Her, dann ließ Jan auf einmal doch die Geiseln frei. Aber weil der kleine Junge gepatzt hatte, behielt er Kitty schließlich als Pfand für eine weitere Runde zurück.«
Götz kratzte sich verlegen am Nacken, als wäre er der Böse in dem Spiel und nicht nur der traurige Bote. »Es tut mir sehr leid.«
Ira schluckte. Die Müdigkeit war auf einmal wie weggewischt. »Und was hat er mit ihr vor?«
»Was soll ich dir sagen?« Götz wandte den Blick kurz von der Straße, und die Traurigkeit in seinem Blick schmerzte Ira mehr als ihre gebrochene Rippe. »Er hat wieder ein Ultimatum gestellt?«, fragte sie ihn tonlos.
»Ja«, antwortete er heiser. »Wir haben noch fünfzig Minuten. Dann will er endgültig die finale Runde spielen. Wenn wir bis dahin kein Lebenszeichen von Leoni haben, wird er wieder telefonieren.« Er stockte kurz und fügte dann hinzu: »Aber nicht in Berlin. Sondern irgendwo in Deutschland.«
O nein, er hat den Schwierigkeitsgrad erhöht. »Es könnte klappen, Ira«, beschwichtigte Götz. »Wenn sich jemand korrekt meldet, will er Kitty freilassen und dann sich selbst erschießen«, murmelte er leise. Er musste selbst erkennen, wie gering die Wahrscheinlichkeit des von ihm geschilderten Szenarios war, und verschwieg ihr die Tatsache, dass der Psychopath schon beim letzten, um Haaresbreite gescheiterten Cash Call irgendwo in Thüringen angerufen hatte. Bei fast vierzig Millionen Festnetzanschlüssen in Deutschland waren Kittys Überlebenschancen gleich null. Ira griff wieder zum Radio. Diesmal gelang es ihr, den Knopf zu drücken. Auf 101Punkt5 lief gerade Musik. Silbermond. Sie ignorierte Götz' missbilligenden Blick.
»Also hatte Steuer doch Recht? Es war eine Inszenierung?«, fragte sie ihn.
»Vermutlich. Noch werden die Geiseln vernommen. Aber es scheint sich zu bestätigen. Alle Studiogäste, mit Ausnahme des UPS-Mannes, kennen sich. Die Scheingeiseln bestreiten zwar noch eine Absprache, aber die Aussagen des Moderators Timber und seines Produzenten sprechen die gleiche Sprache.«
Der Mercedes näherte sich dem Kreuzungsgewirr hinter dem Kaufhaus des Westens an der Urania.
»Aber leider spielt er kein harmloses Kasperle-Theater, wie wir jetzt wissen. Er hat Stuck und Onassis getötet.«
Je wütender sich Götz an den Einsatz erinnerte, desto stärker wurde Iras Sorge um Kitty.
»Es gibt nur noch eine Möglichkeit, um meine Tochter zu retten«, brach sie ihr kurzes Schweigen. »Wir müssen zum Flughafen. Faust aufhalten.«
»Wie soll das gehen? Und zu welchem Flughafen? Privatmaschinen dürfen sowohl von Tempelhof, Tegel wie Schönefeld starten.« Er zeigte mit seinem Finger auf einen großen Wegweiser am Straßenrand, der die Wege zu allen drei Flughäfen ausschilderte. »Mal abgesehen davon, dass mein Kopf eh schon auf der Guillotine liegt, wie stellst du dir das Ganze denn vor? In der knappen Zeit? Selbst mit Blaulicht schaffen wir es kaum durch die Stadt.«
»Kannst du denn keine Suchmeldung rausschicken?«
»Na klar. Am besten ich lasse gleich alle drei Flughäfen komplett sperren. Und mit welcher Begründung? Ira Sa-min, die eigentlich in Gewahrsam sitzen sollte, hat brisante Informationen von Marius Schuwalow persönlich erhalten. Und deshalb bringe ich sie nicht aufs Revier, sondern pinkle stattdessen dem leitenden Oberstaatsanwalt ans Bein?«
Er haute seine dicke Pranke auf das Lederlenkrad und beschleunigte ruckartig.
»Außerdem - wie soll das funktionieren? Bei Privatmaschinen gibt es keine öffentlichen Passagierlisten, die wir durchleuchten könnten. Und wir wissen jetzt, Faust ist ein Falschspieler. Ein Meister der Täuschung. Er hat Leoni ein neues Gesicht verpasst und vor den Augen der Mafia in Berlin versteckt. Der wird nicht unter
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