Amokspiel
er, und es klang fast wie eine Entschuldigung. Als hätte er auf jemand anderen gewartet, für den der Kugelempfang eigentlich bestimmt gewesen war. Von seiner großen Gestalt konnte Ira nur seinen Oberkörper und den rechten Arm ausmachen, in dessen Hand er seine Pistole hielt. Vom Bauchnabel abwärts wurde alles von einem alten Biedermeierschreibtisch verdeckt, hinter dem er saß. Der Raum war wohl eine Art Studierzimmer oder Bibliothek. Durch das geöffnete Fenster, aus dem Faust seine Schüsse abgegeben hatte, fiel das warme Licht der Nachmittagssonne und erhellte das Zimmer so weit, dass Ira die geschmackvolle Einrichtung erkennen konnte. Dunkle Regale zogen sich von dem Parkettfußboden bis fast unter die Decke und beherbergten unzählige Bücher, deren nummerierte und mit Paragraphen versehene Ledereinbände auf ihren juristischen Inhalt deuteten. Ira kam sich an diesem Ort fast etwas fehl am Platze vor mit ihren ausgelatschten Turnschuhen und dem übergroßen Trainingsanzug. »Ich sagte: Waffe fallen lassen!«
»Nein«, erwiderte Faust bestimmt und schüttelte seinen weißhaarigen Kopf. Er stützte seinen Ellbogen auf der Schreibtischplatte ab und zielte auf Ira.
»Wenn Sie wollen, dass ich das tue, müssen Sie mich schon erschießen.«
»Das wird er nicht tun«, sagte Ira und versuchte, die Waffe zu ignorieren, die auf ihren Bauch zielte. »Nicht, solange Sie uns nicht verraten haben, wo Leoni ist.«
»Sie ist tot.«
»Ist sie nicht. Ich habe Bilder von ihr gesehen. Im achten Monat. Sie stammen aus diesem Haus. Von Ihrer Festplatte.«
»Ach, Ira«, seufzte Faust traurig. Sein rechtes Augenlid zitterte. »Wissen Sie eigentlich, wie viel Sie heute kaputt gemacht haben?«
»Was denn? Ihre geplante Flucht nach Südamerika vielleicht? Wo Sie die siebenhundertfünfzigtausend Euro auf den Kopf hauen wollten, die Sie für Leoni kassiert haben?«
Faust sah Ira an, als spräche sie in einer fremden Sprache zu ihm.
»Ich habe Leberkrebs«, klärte er sie auf.
»Und das gibt Ihnen das Recht, Ihre Kronzeugen an die Mafia zu verkaufen?«
»Sie verstehen nicht. Sie verstehen rein gar nichts«, erhob Faust seine Stimme. Ein kleiner Speichelfaden löste sich aus seinem Mund und blieb ihm am Kinn hängen. »Wie können Sie nur so klug sein, mich hier zu suchen, und doch so dumm, dass Sie die Zusammenhänge nicht begreifen, Ira?«
»Sie selbst sind einfach zu durchschauen, Johannes«, entgegnete sie verächtlich. »Ein Taschenspieler ändert niemals seine Tricks. Sie haben Leoni direkt unter den Augen ihres Vaters versteckt gehalten und dachten, das würde auch bei Ihnen selbst funktionieren. Nachdem die Mafia Ihre Wohnung heute schon einmal durchsucht hat, meinten Sie, hier wären Sie vorerst sicher. Die gecharterte Privatmaschine sollte die Bluthunde nur auf die falsche Fährte locken.«
»Gut kombiniert, Chapeau«, gratulierte Faust anerkennend. »Ich habe sogar meinen Chauffeur ausgetrickst und ihn am Ostbahnhof abgehängt. Sollte er später befragt werden, würde doch jeder annehmen, ich hätte von dort aus einen Zug ins Ausland oder zu den Flughäfen genommen.«
»Aber was sollte das bringen? Sie können sich doch niemals hier auf Dauer verschanzen. Spätestens morgen wäre alles aufgeflogen.«
»Das hätte mir gereicht.«
»Gereicht? Wofür? Für Ihre Pläne mit Leoni?« Ira zuckte bei Götz' ersten Worten zusammen. Sie war so auf Faust konzentriert gewesen, dass sie ihn gar nicht mehr beachtet hatte.
»Wir haben weniger als zwanzig Minuten bis zur nächsten Spielrunde. Also sagen Sie uns jetzt endlich, wo sie ist.«
»Sie ist in Sicherheit«, antwortete Faust. Dann wiederholte er es noch mal: »In Sicherheit. Wissen Sie eigentlich, dass Sie die heute zerstört haben, Ira? Wenn Leoni stirbt, dann ist das allein Ihre Schuld.«
»Sie geldgierige Mistmade.« Ira konnte nicht mehr an sich halten. Sie strich ihre Haare aus der Stirn und ballte die Hände zusammen. Am liebsten wäre sie zu Faust über den Schreibtisch gesprungen und hätte wild auf ihn eingeschlagen. Jetzt blieb ihr keine andere Wahl, als ihn mit Worten zu treffen.
»Sie haben Leoni verraten und verkauft. Erzählen Sie mir nichts von Schuld. Ich weiß, dass sie eine Kronzeugin war. Dass sie sich im Zeugenschutz befand. Doch dann sahen Sie Ihre Chance auf das ganz große Geld. Wie haben Sie es gemacht? Haben Sie Schuwalow persönlich angerufen und ihm den Deal vorgeschlagen?«
»Ira, denk an Kitty«, ermahnte Götz. »Noch siebzehn
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