Amore macchiato: Roman (German Edition)
nur eine Horde Schafe, die seelenruhig auf einer Weide grast, welche eher als unberührte Natur zu bezeichnen wäre denn als Partygelände.
Ich steige aus. Als gäbe es noch Hoffnung oder etwas zu entdecken, wandere ich vorsichtig den Pistenweg hinunter und stolziere langsam auf die wilde Wiese zu.
Die Stille um mich herum ist ohrenbetäubend. Nur der Wind und ab und an das sanfte Läuten einer Schafglocke sind zu hören.
Ein weißer, arg in die Jahre gekommener Wachhund bummelt gemütlich auf mich zu und beschnüffelt mich kurz, um sich desinteressiert wieder abzuwenden. Ich atme tief durch. Dann tue ich es ihm nach und wende mich zum Gehen in Richtung Wagen. Nach drei Schritten höre ich ein matschendes Geräusch unter meinem Fuß und spähe hinunter. Schafscheiße suppt links und rechts unter meiner Prada-Sandale hervor und hat bereits ihren hindernisfreien Weg ins Schuhinnere zu meinen frisch pedikürten Füßen gefunden.
Ich starre auf das Desaster und dann zu Enzo hinüber, der soeben ausgestiegen ist und ein paar Schritte auf mich zu macht.
» Tutto a posto, signorina – alles okay bei Ihnen?«, brüllt er gut gelaunt zu mir herüber und winkt zum Gruß.
Ich kann es nicht fassen. In einer Mischung aus Schockstarre und Trance hebe ich die Hand und deute ihm mit von der Faust abgespreiztem Daumen an, wie toll die Situation hier ist.
Enzo nickt zufrieden und nimmt wieder im Auto Platz.
Ich hinke zu einem Stein und setze mich.
Zeit, meinen Chef dringend zurückzurufen.
»GID Germany, Bräunlich?«, ertönt es am anderen Ende der Leitung.
Selbst nach all den Jahren zucke ich ob dieses kopfkinoerzeugenden Nachnamens immer noch zusammen.
»Guten Morgen, Herr Bräunlich«, beeile ich mich dann artig zu sagen. »Hier spricht Annika Herrmann.«
»Frau Herrmann, guten Morgen«, antwortet er knapp. »Sind Sie gut angekommen?« Irgendwie klingt die Frage eher wie eine Feststellung als nach einer Erkundigung über mein Befinden.
»Ja, Herr Bräunlich, es ist nur …«
»Ich habe gestern Vormittag mehrfach versucht, Sie zu erreichen.«
Nicht das schon wieder, stöhne ich innerlich. Erstens saß ich gestern Vormittag im Flieger, und zweitens werden mir entgangene Anrufe angezeigt. Der Kerl spinnt und denkt, es würde niemand merken.
»Die Auflistung Ihrer Quartalszahlen stimmt nicht«, fährt Bräunlich unterdessen fort. Sein Ton klingt streng.
»Bitte entschuldigen Sie, aber ich habe ein Thema zu besprechen, das eventuell wichtiger …«
»Frau Herrmann, das geht so nicht«, unterbricht er mich, vermutlich ohne überhaupt wahrgenommen zu haben, dass ich mitten im Satz war. »Die korrekte Auflistung unserer Plan- versus Istzahlen …«
Bestimmt folgt jetzt: … ist Basis unserer Arbeit für den Monatsreport an die Shareholder blablabla …
»… ist die Basis unserer Arbeit für einen stichhaltigen Monatsreport an die Shareholder«, fährt mein Chef gewohnt stoisch fort, »und in Ihrer Auflistung ist ein Summenfehler passiert. Zum Glück ist Herrn Schrader der Lapsus aufgefallen, bevor die Liste an den Vorstand ging. Er war so freundlich, mich darauf aufmerksam zu machen.«
Herr Schrader.
Markus Schrader aus der Abteilung Controlling und interne Revision.
Wie nett von ihm. Wie nett, dass er auf meine Kalkulationen ein besonderes Augenmerk gelegt hat. Das hat er die letzten anderthalb Jahre schon getan. Beginnend mit dem Jahr, in dem wir Bett und Tisch geteilt haben, vor allem aber in den letzten sechs Monaten, seitdem ich ihn verlassen habe. Auf die banalsten Fehler in meinen Rechnungs- und Kostenunterlagen, die jedem passieren können, weist er mich seitdem per E-Mail hin. Stets mit meinem Chef in cc.
Schade, dass es Briefbomben nicht auch per E-Mail gibt. Ich würde ihm glatt eine senden.
»Das ist ja mal ein feiner Zug von Herrn Schrader«, entgegne ich daher nur.
»Ja, dieser Mitarbeiter ist ein Gewinn für unser Unternehmen«, stimmt Herr Bräunlich zu. Jetzt hat er mir tatsächlich mal kurz zugehört. »Ein ganz korrekter Mensch.«
Korrekt. Das mag Herr Bräunlich. Und ja, Markus ist so. Korrekt und langweilig. Ein Leben nach Schema F, gebügelte Handtücher, die Zeitung zum Morgenkaffee und dazu einen Bausparvertrag bei der örtlichen Sparkasse.
Zu diesem geordneten Leben wollte Markus dann ein Kind. Mit mir. Oder von mir. Dabei war mir bis dahin gar nicht aufgefallen, dass er Kinder besonders mag. Es ging ihm wohl eher darum, möglichst schnell den Status eines braven deutschen
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