Amore macchiato: Roman (German Edition)
ich frisch frisiert und schick geschminkt mit meinen Projektunterlagen unterm Arm in der Hotellobby. Zeit zum Frühstücken habe ich nicht mehr, dazu habe ich zu lange in meinem edlen Hotelbadezimmer mit den Tuben und Cremes des Hauses herumhantiert. Zu meinem Erstaunen steht Enzo bereits in der Einfahrt vor seinem Wagen und starrt Löcher in die Luft. Als er mich sieht, erhellt sich seine Miene. Er kommt freudig auf mich zu und begrüßt mich ähnlich begeistert wie der stets schwanzwedelnde Cockerspaniel meiner kürzlich verstorbenen Nachbarin. Zur Feier des Tages hält er mir sogar die Wagentür auf. Geradezu gerührt steige ich ein.
Die Location-Besichtigung steht an.
Um kein Risiko einzugehen, hacke ich höchstpersönlich den Zielort in Enzos Navigationsgerät und lehne mich dann im Wagenfond zurück. Wir werden gut zwanzig Minuten zu dem Gelände unterwegs sein, auf dem die GID-Veranstaltung stattfinden soll. Ein verträumt gelegenes Terrain, umrahmt von felsigen Steilhängen und Olivenhainen. Eine wunderbare Kulisse für unser Vorhaben und der perfekte Ort für die Weltpremiere unseres Neuwagens. Anhand der Fotos, die mir unsere Eventagentur vorgelegt hatte, haben wir uns – im wahrsten Sinne des Wortes – ein gutes Bild machen können und diese Location ausgewählt.
Ich blättere durch die Papiere und betrachte die Lagepläne, Entwürfe und Zeichnungen, die ich ganz vorne in meiner Mappe abgeheftet habe. Die Eventagentur hat in Zusammenarbeit mit Messebauern, Tontechnikern und Dekorateuren ein Eventspot konzipiert, das meines Erachtens seinesgleichen sucht: Ein Zelt auf einem Hügel, höher gelegen als die anderen, ein weiteres Zelt zwischen Kübeln mit knorrigen Oliven- und Zitrusbäumen platziert und zwei noch größere vor der Felskulisse sollen die Welt unseres allradgetriebenen, allwetter- und überallgeländetauglichen Sportwagens für die Besucher geradezu spürbar machen. Eine Autopräsentation zum Anfassen eben.
Dazu wird in jedem Zelt sowohl mindestens ein Modell unseres Dakar ausgestellt, als auch eine Bar für Erfrischungsgetränke aufgebaut. Im größten der vier runden weißen Festzelte wird eine Showbühne installiert, auf der durchgehend verschiedene Aktionen von Gewinnspielen bis Livemusik abgehalten werden. Dazu alle paar Meter eine gut aussehende, langhaarige Hostess in einem eleganten weißen Einteiler, die Snacks, Give-aways oder allradgetriebenen Sachverstand verteilt. Unsere Erfahrung zeigt: Die Hostessen sind ebenfalls zum Anfassen. Die Armen. Aber welcher Pkw-ambitionierte Mann reist schon zu einer Wagenpräsentation an, wenn es dort keine sexy Hostessen gibt?
Es ist nämlich nicht unser Ziel, ihnen allen den Wagen einfach nur vorzustellen , nein: Der neue Dakar soll begeistern .
Laut Timing der beauftragten Eventagentur hat der Messebauer letzte Woche alle vier Zelte aufgestellt. Derzeit sind die Techniker vor Ort, um mit dem Verlegen der ausgeklügelten Elektrik zu beginnen. Nächste Woche, kurz vor Eventbeginn, werden die Pkws für Shuttle-Service und Ausstellung geliefert, und in genau zwei Wochen geht es los.
Ich bin irgendetwas zwischen aufgeregt und stolz. Was für ein tolles Projekt ich hier aufgegabelt habe. Das war gar nicht so einfach in einem derart großen Unternehmen mit strengen Hierarchien und zig jungen High Potentials um mich herum, die alle zügig steile Karrieren machen wollen. Böse Kollegenzungen tuscheln mir nun hinterher, ich hätte den Zuschlag nur bekommen, weil ich seit Schulzeiten aus einer Laune heraus Italienisch lerne und die Sprache gut beherrsche. Ehrlich gesagt haben sie damit wohl recht, offiziell betone ich in Diskussionen jedoch stets meine überragende Kompetenz für komplexe Projekte, mein analytisches Denkvermögen und mein organisatorisches Geschick, was meine Kollegen murrend hinnehmen müssen.
Zufrieden klappe ich die Mappe zu und blicke aus dem Seitenfenster auf die bestechend schöne sardische Landschaft. Ich freue mich.
Enzo biegt von der Hauptstraße ab und lässt uns ein paar Meter über eine steinige Pistenstraße hoppeln. Dann verlangsamt er die Fahrt und stoppt den Wagen.
Stille.
Was ist?
Muss er mal?
»Da wären wir, signorina «, sagt Enzo stattdessen.
Wie angeschossen schaue ich mich um.
Dann ungläubig zurück auf den Bildschirm des Navis vorne bei Enzo. In der Tat, die Felsformation dort hinten erkenne ich von den Fotos wieder.
Mir bricht der Schweiß aus.
Vier große weiße Festzelte?
Groß und weiß ist hier
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