Amore siciliano
und traf dabei auf Paolo. Er trug eine olivgrüne Arbeitshose und ein Muskelshirt und sah aus, als käme er direkt vom Feld. Super. Dieser Naturburschenlook übte wirklich einen gewissen Reiz auf mich aus, vermutlich auch, weil es das genaue Gegenteil vom spindeldürren, ständig kranken Malte war. Paolo war durch und durch ein Mann. Leider Simonas Mann. Er trug gerade ihr Gepäck hinaus, um es in seinen Jeep zu laden. Sie würde abends nach der Arbeit zu ihm hinüberfahren, und sicher würden die beiden einen romantischen Abend mit Wein und Kerzenschein verbringen.
»Buongiorno Alessandra«, grüßte er.
»Ciao«, grüßte ich bemüht gleichgültig zurück und wollte schnell weitergehen. Aber Paolo blieb stehen, stellte Simonas Koffer in den Wagen, wischte sich seine Hand am Shirt ab und reichte sie mir. Als ich meine Hand in seine legte, deutete er einen Handkuss an. Was sollte denn dieser Italo-Charme plötzlich? Bislang hatte ich ihn doch eher spröde und zurückhaltend erlebt. Verlegen entzog ich ihm meine Hand.
»Passa ancora a trovarmi! Komm doch Enzo undmich mal wieder besuchen«, lud er ein. »Ich könnte deine Hilfe auf dem Hof gut gebrauchen. Frauenhände sind doch viel geschickter beim Streichen von Zaunlatten.« Er zwinkerte frech.
»Klar, ich komm gern vorbei, aber eher, um den Limoncello zu testen. Arbeit hab ich im Moment genug«, antwortete ich leicht verwirrt. »Aber wäre Simona nicht lieber mit dir allein, ihr seht euch doch so selten?«
»Raramente?«, fragte Paolo. »Ich sehe sie doch beinahe jeden Tag, wenn Giuseppe und ich hier Wein trinken.«
Meine Verwirrtheit nahm zu. Dass die beiden als unverheiratetes Paar noch nicht zusammenlebten, dafür hatte ich mir als Erklärung den Katholizismus der Sizilianer zusammengereimt. Aber dass es ihm ausreichte, sie abends hinterm Tresen stehen zu sehen, und er, wenn er seine Freundin schon einmal ein paar Nächte bei sich haben konnte, eine andere Frau zu Besuch einlud, konnte nur zwei Dinge bedeuten: entweder die beiden führten eine recht lockere Beziehung, oder Malte hatte Mist erzählt. Unter den gegebenen Umständen traute ich ihm das durchaus zu.
»Stasera, heute Abend?«, fragte Paolo.
»Heute kann ich leider nicht, Nonna Margherita zeigt mir, wie man Ricotta macht«, sagte ich. »Aber morgen ginge, wenn wir rechtzeitig vom Drehen zurück sind.«
»Domani?« Paolo überlegte. »Ja, das ginge. Aber nicht vor acht, ich habe morgen noch einen Termin mit … Non importa. Also um acht? Ich koche für dich eine Spezialität des Hauses di Gioia.«
»Va bene«, sagte ich. Dann gesellte ich mich zu den abfahrbereiten Kollegen in den Bus. Wir fuhren noch einmal zu Signor Lapi, dem redseligen Olivenbauern, dessen Hof wir an unserem ersten Tag ausgekundschaftet hatten.
Als wir dort eintrafen, dachte ich zuerst, die holländische Wandergruppe sei immer noch da, aber die Niederländisch sprechenden Gäste, die wir in der Plantage dabei beobachteten, wie sie Bäume stutzten, waren neu eingetroffen. Sie erzählten uns, dass sie zum ersten Mal auf einem Agriturismo logierten und den Hof von Freunden empfohlen bekommen hätten. So langsam begriff ich, wie es kam, dass die einzelnen Höfe sich nach den Nationalitäten ihrer Gäste unterscheiden ließen.
Carla war wieder dabei, obwohl sie sich, wie sie mir beim Frühstück erzählte, langsam zu langweilen begann. So aufregend, wie gedacht, sei die Filmarbeit nun auch wieder nicht, und Jakob und Malte fand sie zwar ganz niedlich, aber es sei ihr doch bewusst geworden, dass ihr deutsche Männer nicht temperamentvoll genug waren. Jakob war ihr offensichtlich eine Nummer zu schüchtern. Und so trieb sie sich verdächtig oft in der Nähe der Oranjes, wie Dieter sie nannte, herum. Gut möglich, dass wir abends ohne Carla nach I Moresani zurückkehren müssten. Mich wunderte bei ihrer Sprunghaftigkeit nichts mehr. Aber selbst damit erinnerte sie mich an meine Freundin in Berlin, von der ich schon wieder seit zwei Tagen nichts gehört hatte. Charly hatte lediglich ihren Status bei Facebook zu »Auf Reisen« geändert. Via iPhone. Vermutlich besichtigte sie gerade den Big Ben an der Seite ihres Londoner Consulting-Typen, während ich mir voneiner achtzigjährigen italienischen Großmutter zeigen ließ, wie man Käse machte.
Dennoch war ich zufrieden. Es fühlte sich gut an, hier zu sein, an der Seite dieser nicht eben redseligen, aber warmherzigen Sizilianer, die ich mehr und mehr ins Herz schloss. Ich war eben
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