Amors Glücksfall (German Edition)
mutmaßt sie. „Wo hast du sie das letzte Mal hingetan?“ Sie gießt uns beiden einen Tee ein. Grüne halbdurchsichtige Brühe. Kurz überlegt sie. „Sag bloß, du hast in der Zwischenzeit nichts getan?“
Ich fühle mich wie ein Kind, das beim Schulschwänzen erwischt wurde.
„Aber ich hätte können“, verteidige ich mich. Wieso eigentlich? Wieso bringt Stella mich dazu, mein Verhalten blöd zu finden?
„Aha “, lächelt sie und sofort begreife ich, dass ich ihr nicht böse sein kann. Ich setze mich zu ihr. Allerdings lässt sie mich sitzen, springt auf und verschwindet.
„Wo gehst du hin?“ Es dauert Sekunden, bis sie zurückkommt.
„Wusste ich´s doch!“, triumphiert sie und winkt mit einem rosafarbenen zusammengerollten Monstrum von einer Yogamatte. Graue Wohlmäuse hängen an ihren beiden Seiten und verraten mir, dass der wahre Lorenzo dieses Ding unter das Bett verbannt hat. Offensichtlich habe nicht nur ich ein Problem damit, mich in Leggins auf einer rosa Yogamatte vor Stella zum Deppen zu machen. „Womit habe ich das nur verdient?“, stöhne ich in Gedanken und nehme vor Schreck einen Schluck aus der Tasse mit dem grünen Gebräu. „Es ist grüner Tee, wie ich ihn öfter beim Japaner bekomme“, stelle ich fest. Der Nachgeschmack entfaltet sich langsam in meinem Mund und lässt mich für einen Moment etwas positiver über Stellas Vorhaben urteilen. „Schmeckt es dir?“ Jetzt breitet sie ihre Matte vor der Couch aus und setzt sich im Schneidersitz darauf. Mit ihren roten Locken, die sie mit einer schnellen Bewegung zu einem Knoten auf dem Hinterkopf dreht, wirkt sie auf mich wie Hippiemädchen, dem vor lauter Entspannung ein Heiligenschein gewachsen ist. Die dicken Strähnen sind zusammengerollt größer als ihr Kopf und schimmern im Abendlicht, das aus dem Fenster ins Zimmer fällt.
„Woher wusstest du eigentlich, dass Amanda Horoskope liest?“, frage ich bemüht beiläufig, um Zeit zu schinden. Dabei überlege ich mir die Beine bereits bei der ersten Übung so stark zu verknoten, dass wir zwangsläufi g zu Baileys übergehen müssen.
„Die Wahrscheinlichkeit, dass eine Frau keine Horoskope liest, ist verschwindend gering“, beginnt sie und nippt dabei weiter an ihrem Tee. „ Sie muss es nicht glauben, verstehst du? Also nicht zwangsläufig zumindest. Aber lesen schadet doch nichts, denkt sie bestimmt. Außerdem sucht Amanda im Internet nach ihrer nächsten großen Liebe, richtig?“ Ich überlege.
„Keine Ahnung, ob sie wirklich genau das sucht. Ich nehme aber an, schon .“ „Was soll sie auch sonst bei uns?“, denke ich. Diese Sache mit dem Socialnetwork ist oft nur ein Alibi, um sich doch umzusehen, ohne so verzweifelt zu wirken, dass alle mitkriegen, wie unglücklich man als Single ist. Aus internen Auswertungen weiß ich allerdings, wie die Profile von Munichlive sich im Laufe von Monaten immer weiter vom Network zu Mischform verändern. Und schließlich kann man innerhalb eines Mischprofils schon bald eine klare Tendenz erkennen. Im Grunde suchen alle, die sich bei uns anmelden. Die Frage ist also nur noch: Was sucht man genau?
„Gut, wenn sie die Liebe sucht - und ich meine, gerade im Internet die Liebe sucht – dann ist sie verzweifelt genug, um sich an jedem Strohhalm festzuhalten, verstehst du?“ Ich nicke, Stella breitet die zweite Matte aus und lächelt mir zu. Ich krieche vom Sofa hinunter, auf das rosa Ding rauf. Sie steht auf, ich mache es ihr nach. Als sie nichts weiter macht als einfach nur stehenzubleiben und tief ein - und auszuatmen, frage ich mich, was ich über Yoga überhaupt weiß.
„Und nun?“, frage ich nach weiteren drei , vier Minuten, in denen nichts passiert.
„Nichts, bleib noch ein bisschen so, fühle in deinen Körper hinein, spüre, wo dir etwas fehlt und welche Muskeln verspannt sind.“ Zuerst freue ich mich. Nichts machen, statt Beine zu verknoten, ist gut. Erstaunlich schnell regt es mich allerdings auf. Das sagt sie so leicht. „Bleib so!“ Ich frage mich, ob es Stella leichtfällt, stehenzubleiben und sich nicht zu rühren. „Es ist gar nicht so einfach, nichts zu tun“, stelle ich nämlich langsam fest.
„Und jetzt lassen wir unsere Köpfe kreisen. Erst im Uhrzeigesinn. Dann andersrum.“ Sie sagt es ganz ruhig, sodass ich nach einer Weile einfach nur ihren Worten zuhöre und mich immer weniger über die Situation aufrege. Ich glaube, auch sie hat ihre Augen geschlossen und führt die Bewegungen so langsam aus wie ich.
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