Amputiert
Bild abgeschnitten. Auch mit meinem Rücken stimmte etwas nicht. Man hatte wohl irgendetwas vergessen – Fett, Muskeln, was auch immer –, denn die Haut spannte sich so straff über mein Rückgrat, dass sie beinah durchscheinend wirkte. Jedes Mal, wenn ich mich verrenkte, um über die Schulter zu blicken, konnte ich beobachten, wie sich meine Wirbel auf ihren Scheiben drehten.
Mit Abstand am schlimmsten waren die Narben. Offensichtlich hatte mich Dr. Marshall mit Augenmerk auf Funktion, nicht auf Form zusammengenäht. Die richtige Anordnung der Teile war eindeutig wichtiger als die Ästhetik gewesen. Vermutlich musste es auch so sein, aber zweifellos hätte er ein wenig mein künftiges Aussehen berücksichtigen und zumindest versuchen können, die Narben zu minimieren.
O mein Gott!
Ich war außerstande, den Blick von dem Fremden abzuwenden, den ich im Spiegel weinen sah.
Die Narben waren dick, aufgedunsen, dunkelrot und überall an meinem Körper. Es musste mindestens zwanzigtausend Stiche sein, vielleicht mehr. Ich sah aus, wie eine zusammengestückelte Schaufensterpuppe, die riesige, blutdürstige Egel überzogen – eigentlich noch größer, vielleicht Bandwürmer –, so angeordnet, dass sie sich wie lebendige Taue um meinen Leib schlangen. Die Stränge des Narbengewebes kreuzten sich mit anderen Narben; das Endergebnis war ein Flickenteppich aus Fleisch, der mit so wenig Rücksicht auf mich als Mensch zusammengestickt worden war, wie ein wütendes Kind für ein altes, kaputtes Spielzeug aufbringen würde.
Ich setzte mich auf die Bettkante und weinte. Wenigstens meine Tränen waren meine eigenen. Ich ließ sie in Strömen über meine Wangen rinnen, während ich Dr. Marshall mit jedem Quäntchen Hass verfluchte, das ich in mir aufstöbern konnte. Marshall war ein brillanter Chirurg; ich war fest davon überzeugt, dass er mein Erscheinungsbild dramatisch hätte verbessern können. Er hatte es bloß nicht gewollt. Nein, er hatte vielmehr gewollt, dass ich genau so aussah. Dafür hasste ich ihn mehr als für alles andere, was er mir angetan hatte.
Ein Schlüssel klickte im Schloss. Fünf Sekunden später betrat Junie mein Zimmer, ohne anzuklopfen.
Wäre es Dr. Marshall gewesen, ich bin ziemlich sicher, dass ich versucht hätte, ihm mit den Zähnen an die Gurgel zu gehen, selbst wenn ich dafür erst Drake hätte überwinden müssen, aber als ich Junie und den traurigen Ausdruck in ihrem Gesicht sah, mit dem sie meine mitleiderregende Nacktheit betrachtete, senkte ich nur den Kopf und weinte weiter.
»Helfen Sie mir«, schluchzte ich und sank auf dem Boden auf die Knie. »Bitte, helfen Sie mir, von hier zu entkommen, Junie. Durch Flucht oder Selbstmord, ist mir egal. Er hat mir alles genommen, alles , und ich kann nicht mehr. Ich kann einfach nicht mehr.«
Junie stand wie verwurzelt direkt neben der Tür und schwieg eine Weile, dann schloss sie die Tür und trat neben mich. In leisestem Flüsterton sagte sie: »Ich werde es versuchen.«
Das war alles. Mehr kam nicht. Nicht einmal ein tröstliches Lächeln, als ich zu ihr aufschaute. Sie ging zur Tagesordnung über, befahl mir, mich anzuziehen und in die Gänge zu kommen. Vielleicht hatte ich sie nicht richtig verstanden, oder schlimmer noch, vielleicht hatte sie gar nichts gesagt. Hätte mich nicht überrascht, wenn mir mein Verstand und meine Ohren einen Streich gespielt hätten, aber unabhängig davon, ob es geschehen war oder nicht, in mir keimte ein winziger Hoffnungsschimmer. Nicht genug, um mich vor Freude in die Luft springen zu lassen, aber es reichte, um mich vom Boden aufzurappeln und mich in Bewegung zu setzen. Vorerst würde das genügen müssen.
»Und was passiert jetzt?«, fragte ich, nachdem ich vollständig angezogen war und meine Gefühle wieder im Griff hatte.
»Drake kommt bald, um sie in den Videokonferenzraum zu bringen. Er wollte, dass ich dafür sorge, dass Sie bereit dafür sind.«
»Videokonferenzraum? Also blüht mir keine weitere Operation?« Junie schüttelte den Kopf und schalt mich mit ihrem Blick dafür, alberne Schlüsse gezogen zu haben. Ich war erleichtert, aber immer noch verwirrt. »Was hat Marshall dann vor?«
»Er will eine Dokumentation aufzeichnen. Niemand hat je versucht, geschweige denn geschafft, was Dr. Marshall mit Ihnen gemacht hat. Sie sehen es natürlich nicht so, aber die Wahrheit ist, dass Sie ein medizinisches Wunder verkörpern.«
»Also will er mich wie einen Freak an der Leine vor die Kameras
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