Amsterdam-Cops 04 - Tod eines Strassenhaendlers
jede Ihrer Fragen beantworten, solange sie mit dem Mord zu tun haben.»
«Meinen Sie, die Menschheit besteht aus geistlosen Gestalten, die umhertasten?» fragte der Commissaris, als hätte er nicht richtig zugehört. Er schaute auf die Bäume vor dem Fenster.
«Ja, das haben Sie sehr gut ausgedrückt. Wir tun nichts, sondern es geschieht uns alles. Abe hat soeben seinen Tod gefunden, genau wie einige Millionen Schwarze in Zentralafrika, weil ihnen das Wasser ausging. Dagegen kann keiner etwas tun. Meine Großeltern wurden im Krieg in einen Viehwaggon geworfen, in irgendeinem Lager ausgeladen und vergast. Oder vielleicht sind sie verhungert, oder ein SS-Mann hat ihnen aus Spaß den Schädel eingeschlagen. Das gleiche ist der Familie von Abe und Esther zugestoßen. Die Rogges haben zufällig überlebt; ihr Leben war jedoch ebensowenig geplant wie der Tod der anderen. Und die Polizisten sind in diesem Schachspiel die Bauern. Die Polizei hat meine Großeltern verhaftet, weil sie Juden waren. Die städtische Polizei Amsterdams, nicht deutsche Polizisten. Ihr wurde befohlen, die Ordnung zu bewahren, so wie Ihnen jetzt befohlen wird, die Ordnung zu bewahren. Der Offizier, der vor einer Minute hier war, schlägt jetzt fröhlich Köpfe ein auf dem Nieuwmarkt, einen halben Kilometer von hier entfernt.»
«Also wirklich», sagte Grijpstra.
«Was heißt hier: also wirklich?» rief Louis. «Wollen Sie mir etwa erzählen, nur ein Teil der Polizei habe während des Krieges für die Deutschen gearbeitet? Und die meisten Ihrer Kollegen hätten an der Seite der Königin gestanden? Und was ist mit der Königin? Hat sie keine Truppen nach Indonesien geschickt, um den Dorfbewohnern dort eins auf den Kopf zu geben? Was werden Sie tun, wenn es wieder Krieg gibt? Oder eine Hungersnot? So etwas kann jeden Augenblick eintreten.» Er hustete und sah Grijpstra bedeutungsvoll ins Gesicht, als wolle er, daß der Adjudant ihm zustimme.
«Oder die Russen könnten uns überfallen und uns den Kommunismus aufzwingen. Sie werden in Den Haag die Regierung übernehmen, und irgendein Minister wird der Polizei befehlen, alle Dissidenten festzunehmen. Und Sie werden die Ordnung bewahren. Sie werden blau uniformierte Konstabels losschicken, vielleicht behelmt, bewaffnet mit Schlagstock, automatischer Pistole und Karabiner. Sie werden regelrechte Razzien vornehmen, wobei gepanzerte Mannschaftswagen die Straße an beiden Seiten absperren. Das ist nicht unwahrscheinlich, wissen Sie. Gehen Sie mal hinaus und schauen Sie, was jetzt auf dem Nieuwmarkt geschieht.»
«Und wem geben Sie die Schuld? » fragte der Commissaris und tippte die Asche seiner Zigarre in den Plastikschädel.
«Niemand», sagte Louis ruhig. «Nicht einmal den Deutschen, nicht einmal den niederländischen Polizisten, die meine Großeltern wegbrachten. Die Dinge geschehen, wie ich bereits sagte. Ich gebe auch den Dingen nicht die Schuld; nur wird mir von diesem Idealisieren und Argumentieren speiübel. Wenn Sie Ihre Arbeit tun wollen, falls Sie Ihre Aktivität als Arbeit betrachten, dann tun Sie sie, aber verlangen Sie nicht von mir, daß ich Beifall klatsche, wenn Sie Ihre Verhaftung vornehmen. Mir ist das alles egal.»
«Mir scheint, Sie widerlegen Ihre eigene Theorie», sagte der Commissaris. «Sie weigern sich, das zu tun, was man Ihnen sagt, nicht wahr? Sie wollen sich nicht anpassen. Vielleicht sollten Sie Ihr Studium beenden, damit Sie sich auf der richtigen Ebene in die Gesellschaft einfügen können, aber statt dessen arbeiten Sie auf dem Straßenmarkt und fahren mit dem Lastwagen in irgendein fernes Land. Aber dennoch tun Sie etwas, arbeiten Sie auf ein Ziel hin. Wenn Sie wirklich glauben, was Sie sagen, dann sollten Sie nichts tun, wie mir scheint. Sie sollten sich treiben lassen, angeschoben von den Umständen des Augenblicks.»
« Genau», sagte Louis. «Das tue ich nämlich.»
«Nein, nein. Sie haben eine gewisse Freiheit, wie mir scheint, und Sie nutzen sie. Sie treffen überlegt Ihre Wahl.»
«Ich versuche es», sagte Louis, entwaffnet durch die ruhige Stimme des Commissaris. «Vielleicht haben Sie recht. Vielleicht bin ich in gewisser Weise frei und versuche, mit meiner Freiheit etwas anzufangen. Aber selbst bei diesen Versuchen bin ich nicht sehr gut. Von mir aus hätte ich niemals etwas getan. Ich gammelte in einem dunklen Zimmer, schlief jeden Tag bis zwei Uhr nachmittags und trieb mich abends in blöden Kneipen herum, bis Abe mich fand. Er packte mich praktisch am
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