Amy on the summer road
braune, lockige Haare, sah aus wie zwölf und ich fragte mich einen Moment, was sie hier drin zu suchen haben mochte.
»Ähm, ja«, sagte ich. »Ich bin Charlie Currys Schwester. Könnt ihr mir sagen, wo ich ihn finde?«
»Du bist Amy?«, fragte das andere Mädchen. Ihre Haare waren wahrscheinlich sonst platinblond, hatten aber jetzt fast eine Handbreit schwarze Ansätze. Selbst aus der Entfernung sah ich, dass sie so was wie Verbrennungen an den Lippen hatte.
»Ja, das bin ich.« Überrascht sah ich sie an. »Woher weißt du ...«
»Gesprächsgruppe«, erklärte sie. »Wir reden hier über alles.«
»Oh.« Das hieß offenbar auch, dass Charlie über mich gesprochen hatte. Über unsere Familie. Am liebsten hätte ich sofort nachgefragt, was er erzählt hatte. Und dann stieg plötzlich Wut in mir auf, so heftig, dass es mich selbst erschreckte. Mit Fremden konnte Charlie reden, aber mit mir nicht? »Also, könnt ihr mir sagen, wo ich ihn finde?« Beide sahen mich schweigend an. »Bitte?«, fügte ich hinzu.
»Ich weiß nicht«, sagte das Lockenmädchen. »Bist du hier, weil du ihm Vorwürfe machen willst? Er hat nämlich auch so schon ein furchtbar schlechtes Gewissen.«
»Wie bitte?«, fragte ich verwirrt. Charlie hatte noch nie wegen irgendwas ein schlechtes Gewissen gehabt. »Nein. Ich möchte einfach nur mit ihm reden.«
Die beiden Mädchen sahen sich an und schienen eine Art stummes Gespräch zu führen. Schließlich nickte das blonde Mädchen. »Er wohnt drei Zimmer weiter.« Und mit einer Kopfbewegung deutete sie an, in welche Richtung ich zu gehen hatte. »Zusammen mit Muz.«
»Muz?«, fragte ich im selben Augenblick, als ein lauter Gong ertönte. Ich sah mich um und beide Mädchen schauten zur Wand, wo eine Sprechanlage hing.
»Ich begrüße euch«, sagte eine beruhigende Stimme in sanftem Singsang. »Und ich hoffe, dass eure morgendliche Reflexion angenehm und bereichernd war. Die Reflexionszeit geht nun in 20 Minuten zu Ende. Alle begeben sich bitte in 20 Minuten zu den festgelegten Vormittagsaktivitäten. Vielen Dank.« Dann gongte es wieder und die Sprechanlage schaltete sich ab.
Einen Moment starrte ich sie an. So also hatte Charlie den letzten Monat verbracht? In einer Luxusherberge, mit Gesprächen über seine Gefühle und Morgenreflexion? Während ich mir Pizza anliefern lassen und allein mit dem Haus zurechtkommen musste und nur mithilfe des Wetterprogramms einschlafen konnte. »Danke«, sagte ich zu den beiden und ging zur Tür.
»Gerne«, sagte das Lockenmädchen.
Die Blonde sah mich einen Moment an. »Du solltest unbedingt deine Mutter anrufen«, sagte sie. »Echt.«
Ich hätte sie gern gefragt, was sie damit meinte, hatte aber keine Zeit dazu. Aber was sollte das alles eigentlich? Ich ging hinaus in den Korridor, der im fernöstlichen Stil gehalten war. Julia hätte das sicher gefallen. Vor jedem Zimmer stand ein Blumentopf mit einem Bambus darin und am Ende des Ganges plätscherte leise ein dezent beleuchteter Brunnen. Ich prüfte, ob die Luft rein war, und ging schnell die drei Zimmer flurabwärts, wobei mich verwunderte Blicke trafen, als ich an offenen Türen vorbeikam. Offenbar standen hier immer alle Türen offen.
Vor einer Tür, die ein bisschen mehr angelehnt war als die anderen, blieb ich stehen. CHARLIE und ZACH, stand auf dem laminierten Schild, das in einem kleinen Rahmen an der Tür steckte, der so gestaltet war, dass man das Schild leicht auswechseln konnte. Ich holte tief Luft, drückte die Tür auf und ging hinein.
Das Erste, was ich sah, war ein Typ in Unterhosen, der einen Handstand gegen die Wand vollführte. Ein Typ, der glücklicherweise nicht mein Bruder war. Seine kopfstehenden Augen weiteten sich und mit einem kleinen Aufjaulen fiel er um. »Ähm, ja?«, fragte er und rappelte sich auf. Er war ein bisschen untersetzt und hatte kräftige braune Locken.
»Mann, Muz, genau deshalb hab ich dir gesagt, zieh dir verdammt noch mal was an, wenn du Yoga machst.« Das war mein Bruder, der in einem Sessel saß, als ob er nur auf mich gewartet hatte. »Schließlich kann man nie wissen, wann meine Schwester auf die Idee kommt, hier aufzutauchen.«
Ich drehte mich zu Charlie um, zum einen, weil ich ihn besser sehen wollte, und zum anderen, damit Muz sich in Ruhe eine Hose anziehen konnte – hoffte ich zumindest. Charlie sah viel besser aus als beim letzten Mal, obwohl es wahrscheinlich schwierig gewesen wäre, noch schlechter auszusehen. Er wirkte gesünder,
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