Amy on the summer road
Architekt verzapft hatte. Unser Haus hatte auf der Straßenseite im Obergeschoss zwei offene Veranden, die ich sehr hübsch fand. Die zweite Veranda – die, auf der ich gerade lebendigen Leibes vertilgt wurde – war auch voll funktionstüchtig. Sie war über eine Doppelglastür mit dem Gästezimmer verbunden, damit unsere potenziellen Gäste den reizenden Ausblick auf unsere Einfahrt genießen konnten. Die Veranda auf der linken Seite war allerdings mit gar nichts verbunden, sondern reine Deko. Allerdings hatten Charlie und ich schon vor langer Zeit herausgefunden, dass unsere jeweiligen Fenster links und rechts davon nahe genug waren, um durchs Fenster auf
diese Veranda zu klettern – vorausgesetzt, man war schnell genug und sah nicht nach unten. Als wir noch kleiner waren, hatten wir uns heimlich manchmal nachts dort getroffen. Wir naschten dann Süßigkeiten, spielten Gameboy oder quatschten einfach.
Im Grunde genossen wir es einfach nur, gegen Regeln zu verstoßen und wach zu sein, obwohl wir eigentlich schlafen sollten. Diese Momente gehörten zu den wenigen, in denen wir harmonisch vereint waren.
Ich kratzte mir gerade den Fußknöchel blutig, als zwei Scheinwerfer in unserer Sackgasse auftauchten. Wie üblich schossen sie zunächst an unserem Haus vorbei, drehten noch eine Extrarunde und kamen schließlich vor unserer Einfahrt zum Stehen. Der Fahrer des Wagens – es sah aus wie ein Geländewagen – schaltete die Scheinwerfer aus, ließ aber den Motor laufen. Ich sah zu Charlies Fenster und wartete. Und wie erwartet hörte ich kurz darauf, wie das Fenster aufgeschoben wurde. Darin erschien Charlies Bein, es schob sich über das Geländer und dann folgte der Rest von ihm im Rückwärtsgang. Ich wartete, bis er sicher auf der Veranda stand, ehe ich ihn ansprach.
»Hi.«
Charlie wirbelte herum und stieß gleichzeitig einen hohen Quiekton aus, den ich am liebsten aufgenommen hätte. »Amy, was zur Hölle ...‹‹ Er sprach sehr leise und atmete hastig. »Mach das verdammt noch mal nie wieder.« Er schaute kurz nach unten auf das wartende Auto und dann wieder zurück zu mir. Meine Augen hatten sich längst an die Dunkelheit gewöhnt, und so konnte ich genau sehen, dass er
krampfhaft überlegte, was für eine Erklärung er mir auftischen könnte. »Was machst du denn hier draußen?«
»Dasselbe könnte ich dich fragen.«
»Komm, jetzt tu nicht so naiv«, sagte er und schaute wieder nach dem Auto. Als er mich das nächste Mal ansah, lächelte er. Offenbar hatte er sich für die charmante Tour entschieden. »Ich will eine Runde mit meinen Kumpels fahren. Ist das so ein Verbrechen? Wie wär’s, wenn du einfach mitkommst?«
Einen Moment dachte ich darüber nach, einfach Ja zu sagen, nur um ihn zu ärgern und ein bisschen herumeiern zu lassen – dass unsere Freundeskreise ja so verschieden seien und so weiter. »Du bist in letzter Zeit ja ziemlich oft mit deinen Freunden unterwegs«, sagte ich und hätte mir gleich darauf eine scheuern können. Nach zwei verplemperten Stunden hätte ich eigentlich was Vernünftigeres zustande bringen müssen. War aber offensichtlich nicht so. »Charlie, ich mach mir einfach Sorgen, weißt du?«
»Sorgen?«, fragte Charlie und guckte wie die Unschuld in Person. »Worüber?«
»Jetzt lass den Scheiß«, sagte ich. »Ich finde einfach, du solltest einen Gang zurückschalten. Oder das Zeug wenigstens auf die Wochenenden beschränken. Ist dir eigentlich klar, dass heute Dienstag ist?«
»Hey, mein letztes Zeugnis war besser als deins, falls du dich erinnerst. Und bloß weil du keine Ahnung hast, was Spaß macht ...« Der Geländewagen vor unserer Einfahrt schaltete die Scheinwerfer an und wieder aus, sodass wir beide in die gleiche Richtung sahen. »Meine Freunde warten.« Damit hängte er sich seinen Rucksack über die Schulter.
»Ich denke jedenfalls, dass du damit ein bisschen kürzertreten solltest.« Meine Stimme war etwas lauter geworden. Ich sah, wie Charlie schnell einen Blick zum Haus warf, was mich daran erinnerte, dass ich ja einen gewissen Trumpf in der Hand hielt.
»Amy, verdammt noch mal. Nicht so laut. Mir geht’s bestens. Und du hättest wirklich nicht...«
»Ich werd’s Mom und Dad sagen«, unterbrach ich ihn.
Er sah mich ziemlich lange an. »Nein, das wirst du nicht.«
Ich hielt seinen Blick aus. »Oh doch, das werde ich. Ich ...« Ich klatschte mir aufs Bein, obwohl ich wusste, dass das völlig sinnlos war.
»Nein.« Er ging an mir vorbei
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