Amy on the summer road
Oberfläche eines Tanklasters hatte ich mein Spiegelbild in Bronwyns – also nunmehr meinem – weißen T-Shirt erspäht. Ich kam nicht umhin festzustellen, dass mein Gang irgendwie aufrechter war.
Ich schob meinen leeren Pancake-Teller von mir weg und sah Roger über den Tisch hinweg an. Zwischen uns lag ein Atlas, aufgeschlagen war die Übersichtskarte der USA. Bis zur Ostküste lag immer noch ein gutes Stück Weg vor uns, doch ich war überrascht, wie viel wir schon geschafft hatten. Dennoch waren wir immer noch sehr weit entfernt von Ohio, wohin wir jetzt eigentlich unterwegs sein sollten. Als ich mir ansah, wo wir gerade waren, und daran dachte, wo wir eigentlich sein sollten, wurde mir klar, dass ich – am besten noch heute Abend – meine Mutter anrufen und ihr sagen musste, dass wir nicht in Akron waren. Bei dem Gedanken an das Gespräch krampfte sich mein Magen etwas zusammen, aber es war schon nicht mehr ganz so schlimm wie noch vor ein paar Tagen.
Roger fuhr auf der Karte mit dem Finger eine Strecke zwischen Colorado und Connecticut ab. Während ich ihm zusah, bewegte sich sein Finger hinüber nach Kansas, durch Missouri, dann nach Kentucky und hielt dort an.
»Du willst nach Kentucky?«, fragte ich. Roger schaute überrascht auf und richtete dann den Blick wieder auf seinen Zeigefinger, der auf der Karte ruhte.
»Oh«, sagte er seufzend. Der Finger tippte auf die Karte. »Ich weiß nicht. Das ist mir nur heute Morgen so durch den Kopf gegangen.« Er fuhr sich mit beiden Händen durch die Haare, und der Wirbel an seinem Hinterkopf schnellte nach oben, als würde er sich über seine neu gewonnene Freiheit freuen.
»Hadley?«, unternahm ich einen Versuch. Es fühlte sich seltsam an, ihren Namen auszusprechen, besonders nachdem ich ihr Foto gesehen und Bronwyns Meinung über sie gehört hatte.
»Lässt sich nicht verheimlichen, was? Ich hatte eben gedacht, dass sie vielleicht hier ist und ich mit ihr reden kann. Ich hatte mir das fest vorgenommen. Aber sie war ja nicht da ...« Er sah aus dem Fenster, auf die Autos, die auf der Interstate vorbeirauschten. »Ich will ihr nicht nachstellen, auf gar keinen Fall«, beteuerte er. »Ich will nur wissen, was los ist. Sie ruft halt nie zurück ...«
»Na ja«, sagte ich nachdenklich und sah auf die Karte. »Ich war noch nie in Kentucky.«
Roger musste lächeln, dann sah er mich eindringlich an. »Aber wir haben keine Zeit«, sagte er. »Wir müssten eigentlich in...«
»Akron sein«, ergänzte ich.
»Akron«, wiederholte er. »Und morgen schon in Connecticut. Das wird wohl eher nichts mit Kentucky.«
Ich starrte die Karte an. Auf Connecticut hatte ich jetzt noch gar keine Lust. Und aus irgendeinem Grund hatte ich es überhaupt nicht eilig, meine Mutter wiederzusehen. Wenn wir uns ein, zwei Tage verspäteten – was konnte sie da schon
machen? Offenbar war Roger in eigener Mission unterwegs, ein bisschen so wie Leonard in seiner virtuellen Welt. Hatte ich denn das Recht, ihn dabei aufzuhalten? »Ich glaube, wir sollten es versuchen.«
»Echt?«
»Echt«, nickte ich. »Ist doch nur ein Abstecher, stimmt’s?«
»Aber schon ein ziemlich großer«, gab er zu bedenken. »Deine Mutter ...«
»Wird sich mal damit abfinden müssen. Ich sag ihr einfach... dass im Nordosten die Straßen total verstopft waren.« Hatte ich das tatsächlich gerade gesagt? Meine Mutter würde mich umbringen. Am Morgen hatte sie mir wieder eine Nachricht auf die Mailbox gesprochen, die ich noch gar nicht abgehört, geschweige denn darauf reagiert hatte. Obwohl ich den Gedanken gern verdrängte, war mir natürlich klar, dass sie sich sicher Sorgen machte. Schuldgefühle drückten mir auf den Magen, sodass meine Francakes darin für Aufruhr sorgten. Doch als ich Rogers Blick auf mir spürte, versuchte ich, meine Bedenken beiseitezuschieben. Immerhin hatte sie mich einen Monat lang alleine gelassen – und da sollte ich ihr dasselbe nicht mal für vier Tage antun dürfen?
»Auf geht’s!«, sagte ich, so entschlossen ich konnte, obwohl mir das Herz bis zum Hals schlug. »Nach Kentucky.«
Roger starrte mich noch einen Moment lang an, dann nickte er und hielt mir seinen Stift hin. »Dann legen Sie mal unseren Kurs fest, Chekov.« Er schielte auf die Karte. »Wahrscheinlich werden wir dafür gar nicht so lange brauchen. Und wenn wir durch Kansas fahren, können wir gleich bei meinem Kumpel Drew vorbeischauen ...«
»Ich denke, die Strecke durch Kansas ist am besten«,
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