Amy on the summer road
alles war gut.
Ich zog mir den Schlafsack bis über die Schultern und hoffte auf den Zauber, der mich die vorigen beiden Nächte so wunderbar hatte schlafen lassen. Ich wollte die Erinnerung an Michael und diese Nacht so schnell wie möglich ausblenden. Aber kaum schloss ich die Augen, sah ich nur noch sein Gesicht und wusste, dass das mit dem Zauber in dieser Nacht wohl nichts werden würde.
Those memories so steeped in yesterday.
Those memories you couldn’t run away.
– Ember FX
11. MÄRZ – DREI MONATE ZUVOR
Ich saß auf Michaels Bettkante und zog meinen BH an. Dabei hakte ich den Verschluss falsch zu, aber das war mir egal. Michael streichelte mir langsam kreisend den Rücken, doch ich ging – unter dem Vorwand, mein Oberteil zu holen – schnell auf Abstand. Vor allem wollte ich, dass er aufhörte mich anzufassen. Mit leicht zitternden Händen zog ich mein Tanktop über.
»Alles okay mit dir?«, fragte er vom Bett aus, wo er sich aufgesetzt hatte, immer noch zugedeckt. Ich fragte mich, wieso mir nicht vorher aufgefallen war, dass es im ganzen Zimmer nach Pizza roch.
»Ja, alles bestens«, sagte ich scheinbar gut gelaunt, merkte aber, dass in meiner Stimme ein Anflug von Hysterie mitschwang. Unter dem Bett fand ich meinen zusammengeknüllten Rock. Ich schüttelte ihn aus, zog ihn an und stand dann auf, damit ich den Reißverschluss zumachen konnte.
»Hey«, sagte Michael besorgt und streckte die Hand aus. »Komm mal her.«
Aber ich wollte nicht zu ihm, sondern einzig und allein raus aus diesem Zimmer, und zwar so schnell wie möglich.
Außerdem hätte ich am liebsten die Zeit zurückgedreht und die letzten 20 Minuten ungeschehen gemacht. »Ich muss jetzt los«, erwiderte ich und versuchte mit viel Mühe, zu unterdrücken, was in mir loszubrechen drohte. Ich suchte nach meinen schwarzen Pumps, die jedoch verschwunden waren.
Michael zog seine Kakihose wieder an, kam zu mir herüber und blieb vor mir stehen. »Amy«, sagte er und strich meine Haare glatt.
»Hast du meine Schuhe gesehen?«, fragte ich und versuchte, mich an ihm vorbeizuschlängeln.
»Was ist denn los mit dir?«, erkundigte er sich besorgt und griff nach meinen Händen. »Ach komm, das zweite Mal wird besser, das versprech ich dir.« Ich zog die Hände von ihm weg und beschloss, dass ich auf meine Schuhe verzichten konnte. Es war gar kein Problem, barfuß heimzugehen.
Michael zog mich an sich und streichelte mir über das Haar. Ich merkte, wie ich erstarrte. Irgendwie war das zu viel für mich. Alles war zu viel für mich: was wir gerade getan hatten und die Tatsache, dass mir vorher nicht klar war, wie verletzlich ich mich dabei fühlen würde. Und genau das war ja das Letzte, was ich jetzt gebrauchen konnte. Jetzt im Nachhinein wusste ich, dass es ein großer Fehler war. Ein Fehler allerdings, den man nicht rückgängig machen konnte. In seiner Umarmung hatte ich plötzlich das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen. Ich schob ihn von mir und wich zurück. Ich sah, dass ihn das kränkte, aber das war mir egal. Ich wusste nur eins, nämlich dass ich so schnell wie möglich hier rausmusste.
»Ich muss jetzt gehen«, sagte ich und hörte, wie aufgewühlt meine Stimme klang. Es kam mir vor, als würde in mir
etwas auseinanderfallen. Ich konnte es gar nicht fassen, dass ich das bis vorhin noch für eine gute Idee gehalten hatte. Ich musste jetzt einfach irgendwohin, wo ich allein sein konnte, mit mir und der Erkenntnis, dass auf dieser Welt offenbar alles kaputt war.
»Lass uns doch darüber reden«, sagte er, setzte sich aufs Bett und klopfte mit der Hand neben sich.
»Ich will aber nicht reden! «, schrie ich, ohne es zu wollen. Beim letzten Wort versagte mir die Stimme.
»Okay«, antwortete Michael, der jetzt ziemlich elend aussah. »Ähm, kein Problem. Musst du ja nicht.«
Ich drehte mich von ihm weg und zwang mich zur Ruhe, obwohl ich fühlte, wie fertig ich war. »Ich will nur ... ich will einfach nur alleine sein, okay? Es tut mir leid. Ich hätte nicht herkommen sollen.« Ich rannte zur Tür und ließ in seinem chaotischen Zimmer meine Schuhe, meine Jungfräulichkeit und den letzten Rest des Mädchens zurück, das ich mal gewesen war.
»Amy«, rief Michael. »Bitte ...«
Ich habe nie erfahren, was er sagen wollte, da ich die Tür hinter mir zuknallte und eilig durch den Korridor seines Wohnheims ging. Dabei hielt ich den Blick starr auf den hässlich braunen Teppich gerichtet und sah mich nicht um, ob er
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