An den Feuern von Hastur - 9
oder frivol sprach. Von fr ü hester Kindheit an , antwortete sie, hat man mir gesagt, daß eine unausgebildete Telepathin eine Gefahr f ü r sich selbst und jeden in ihrer Umgebung darstellt. Und das trifft zu — auf mich vielleicht noch mehr als auf jeden anderen in den Dom ä nen. Als ich getestet wurde, stellte die leronis fest, daß ich einige von den ä lteren Gaben besitze, von denen bekannt ist, daß sie manchmal . Sie z ö gerte, suchte nach dem richtigen Wort. . unkontrollierbar werden, jedenfalls ohne entsprechende Ausbildung.
Rohana erschauerte, Melora ebenfalls. Jedes Kind wußte, was passieren konnte, wenn eine Gabe außer Kontrolle geriet. Zusammen mit Gespenstergeschichten sorgten Erz ä hlungen ü ber wildgewordenes laran f ü r Unterhaltung an so manch einem winterlichen Kamin — und bescherten so manchem Kind Alptr ä ume.
Leonie wartete einen Augenblick, damit ihre Worte volle Wirkung erzielten. Macht, woher sie auch stammte, trug sofort Respekt ein. Diesen Respekt — oder zumindest eine vorsichtige Haltung ihr gegen ü ber — hatte sie bereits gewonnen. Sie sah es in den Gesichtern der M ä dchen. Gut. Jetzt w ü rde es keine taktlosen Sticheleien mehr geben.
Sie zuckte die Achseln und stieg ein St ü ckchen von dem Gipfel des Mysteriums herab, auf den sie sich selbst gestellt hatte. Außerdem bin ich eine Frau , fuhr sie fort, und Frauen haben nur die eine M ö glichkeit, eine leronis zu werden, wenn sie dem Schicksal entrinnen wollen, im fr ü hestm ö glichen Augenblick an irgendeinen schwachsinnigen jungen Burschen verheiratet zu werden und sechs oder sieben seiner schwachsinnigen Kinder zu geb ä ren.
Sie sind doch sicher nicht alle schwachsinnig , protestierte Rohana, die ehrgeizige Ziele auf dem Heiratsmarkt hatte.
Nein, nur neun Zehntel von ihnen , entgegnete Leonie. Und was meinst du, wie deine Chancen stehen, einen von dem restlichen Zehntel zu bekommen?
Melora meinte friedlich: Du hast bestimmt den besten Weg gew ä hlt, um es f ü r ein oder zwei Jahre hinauszuschieben.
F ü r l ä nger. Leonies Ton ließ keinen Widerspruch zu. Ich weiß, was ich will. Das weiß ich, solange ich denken kann. Ich werde ü berhaupt nicht heiraten, und es ist meine feste Absicht, einen Sitz im Rat zu bekommen.
Daf ü r m ü ßtest du erst einmal Bewahrerin von Arilinn werden , meinte Rohana lachend. Ungeachtet Leonies Selbstsicherheit fand sie die Idee grotesk.
Genau. Leonie legte den Kopf zur ü ck, sah das j ü ngere M ä dchen von oben herab an und zeigte das L ä cheln, das Geheimnisse verbirgt.
Rohana seufzte verzweifelt. Und du bist so ü berzeugt, daß du das schaffst? Hast du auch die Gabe des Vorherwissens? L ä uft alles immer so, wie du es erwartest?
Fast alles , erwiderte Leonie mit einem unbeschreiblichen Ausdruck von Arroganz. Ich habe die Erfahrung gemacht, daß ich mich selten irre. Und Fiora hat mir gesagt, ich h ä tte die Begabung f ü r die Ausbildung zur Bewahrerin. Deshalb halte ich die Entwicklung f ü r so wahrscheinlich, daß sogar mein Bruder darauf wetten und seinen Gewinn einstreichen k ö nnte.
Ihre Selbstsicherheit brachte die f ü r gew ö hnlich sanftm ü tige Melora nun doch auf. Oh, wahrscheinlich wirst du damit enden, daß du heiratest, ganz wie wir anderen , sagte sie ä rgerlich.
Nein, ich werde nicht heiraten. Unter dem seltsamen Blick, mit dem Leonie sie maß, wurde Melora unbehaglich zumute. Es war, als sehe Leonie sie nicht an, sondern durch sie
hindurch. Und du auch nicht , setzte Leonie mit merkw ü rdig ausdrucksloser Stimme hinzu.
Und ich? fragte Rohana schnippisch.
Ja, du wirst heiraten. Leonie sprach immer noch mit dieser flachen, d ü nnen Stimme. Aber trotzdem wirst du einen Sitz im Rat bekommen. Stirnrunzelnd richtete sie den Blick nicht auf Rohana, sondern auf etwas, das sie allein sehen konnte. Ich verstehe nicht, wie, aber ich weiß, daß es geschehen wird .
Sie verstummte und starrte weiter ins Leere.
Rohana versuchte, die K ä lte, die sich pl ö tzlich auf die M ä dchen niederzusenken schien, mit einem Achselzucken abzutun. Erbost fuhr sie Leonie an: Also bist du jetzt eine Wahrsagerin auf dem Marktplatz? Oder vielleicht m ö chtest du die graue Robe der Priesterinnen Avarras anlegen und herumlaufen und Unheil verk ü nden! Die alte Martina, die die Zofe meiner Mutter war, pflegte hin und wieder ins Prophezeien zu geraten, und sie konnte Schnee zu Mittwinter ebenso gut vorhersagen wie sonst einer.
Vielleicht h ä tte Rohana noch mehr gesagt,
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