An den Feuern von Hastur - 9
Gabe, ein laran. Nicht jedes Mitglied der Comyn besaß die Gabe in voller Kraft — oder uberhaupt —, denn in dieser Zeit war ihr Blut d ü nner geworden, und die Kr ä fte starben aus. T ü rme, die fr ü her einmal Botschaften und sogar Boten ü ber weite Entfernungen geschickt hatten, standen dunkel und leer. Das machte diese drei M ä dchen so kostbar — sowohl f ü r ihre Familien als auch f ü r den Turm.
Melora und Rohana Aillard, zehn und zwN olf Jahre alt, waren Kusinen, sahen sich jedoch ä hnlich wie Schwestern. Das dritte M ä dchen war Leonie Hastur, ein bißchen gr ö ßer, ein bißchen heller im Teint, ein bißchen ä lter als die anderen — und sich ihres Ranges und der Kraft ihres laran sehr viel st ä rker bewußt. Ihr Stolz zeigte sich schon in ihrer Haltung. Sie hielt den Kopf hoch erhoben und dachte nicht daran, die Augen mit der jungfr ä ulichen Sch ü chternheit, die die Gesellschaft gern sah, niederzuschlagen.
Zu dieser Zeit, sp ä t am Tag, durften die j ü ngeren M ä dchen im Turm in den Garten gehen, sofern das Wetter es erlaubte, spielen und sich vergn ü gen, wie sie wollten. Leonie betrachtete sich als viel zu alt f ü r solchen Unsinn wie Spiele, aber es war eine Chance, den Mauern des Turms wenigstens f ü r eine Weile zu entrinnen.
Setz dich auf die Schaukel, ich werde dich anstoßen , sagte Melora, die zart gebaut und die kleinste von den dreien war. Noch regnet es nicht, und ich m ö chte so lange wie m ö glich draußen bleiben.
Lange wird es nicht mehr dauern , antwortete Rohana mit einem Seufzer. Zu dieser Jahreszeit regnet es hier abends wohl immer. Hoffen wir nur, daß es erst anf ä ngt, wenn wir hineingegangen sind.
Heute abend wird es nicht regnen , behauptete Leonie ü berzeugt und mit einem schlauen L ä cheln. Ich m ö chte die Monde sehen, auch wenn sie nach der Konjunktion schon wieder dabei sind, sich zu trennen. Es ist sehr wichtig f ü r mich.
Sie sagte nicht, warum es f ü r sie wichtig war, und die beiden anderen M ä dchen machten sich nicht die M ü he zu fragen. Auch wenn sie sich erst kurze Zeit kannten, wußten sie, daß Leonie es ihnen nicht erz ä hlen w ü rde.
Und ich vermute , spottete Rohana Aillard, das Wetter wird mitspielen und gut bleiben, nur weil du es von ihm verlangst. Das h ä tte ich nat ü rlich wissen m ü ssen. Sogar das Wetter muß gehorchen, wenn eine Hastur spricht.
F ü r gew ö hnlich tut es das , erkl ä rte Leonie, als habe sie nichts von Rohanas verschleiertem Hohn gemerkt. Wenn du nicht schaukeln willst, Rohana, dann laß mich.
Nein, zuerst bin ich an der Reihe. Rohana kletterte in die Schaukel und setzte sie in Bewegung. Ihren Versuch, Leonie aus der Fassung zu bringen, gab sie auf. Hier m ü ßte es zwei Schaukeln geben.
Oder drei, aber wie oft hat man hier mehr als eine Person, die jung genug ist, um sich daf ü r zu interessieren? fragte Melora. Mit unschuldiger Fr ö hlichkeit wandte sie sich Leonie zu. Ich bin froh, daß du bei uns bist, Leonie, alle anderen sind so alt und gesetzt.
Flora ist nicht alt , widersprach Rohana, erf ü llt von einem vagen Loyalit ä tsgef ü hl gegen ü ber der Bewahrerin.
Sie ist so gut wie alt , lautete Leonies Urteil. Sie handelt, als sei sie hundert Jahre alt, und ist verkn ö cherter als jeder alte Großvater. Als sie mich hier willkommen hieß, hielt sie mir eine f ü rchterlich lange Predigt. Sie betonte, ich sei jetzt eine leronis und m ü sse st ä ndig die besten Eigenschaften der Comyn repr ä sentieren. Leonie gab ein ver ä chtliches Schnauben von sich. Als ob ich das nicht sowieso t ä te! Ich bin schließlich eine Hastur. Man hat mich in meinen Pflichten unterwiesen, seit ich die Wiege verließ!
Und du hast jetzt vermutlich schon mehr von einer leronis und bist eine bessere Telepathin als die meisten von uns nach der Ausbildung. Rohanas Stimme klang ein bißchen resigniert. Dann leuchtete Neugier in ihren Augen auf, und sie vergaß ihren Versuch von vorhin, Leonie durch Sticheleien zu reizen. Sag doch, Leonie, hast du die Hastur-Gabe?
Leonie ließ sich nicht — nicht ganz — anmerken, wie stolz sie darauf war. Ja, ich denke schon.
Was heißt, du bringst ohne Matrix mehr fertig als wir anderen mit , sagte Rohana ehrf ü rchtig. Erz ä hl mal, warum schickt man dich, wenn das wahr ist, ü berhaupt in einen Turm?
Leonies sch ö nes, arrogantes Gesicht wurde sehr ernst. Laran- Kr ä fte — besonders ihre eigenen — waren etwas, ü ber das sie niemals leichtfertig
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