An den Gestaden von Chaldewallchan - Der Atem des Drachen (German Edition)
quälende Erinn e rung ihren Geist gefangen hielt.
Dann tat sein scheues Mündel etwas, das Wolf niemals für mö g lich gehalten hätte. Er verließ die schützende Nähe seines Begle i ters, trat vor Hannah, strich ihr die dichten Strähnen aus dem Gesicht und entblößte den Makel, den sie versuchte so zu ve r bergen. Eine tiefe Narbe zog sich von der Stirn über das Auge bis unter die Wange und selbst Wolf spürte bei dem Anblick, der ihr schönes Gesicht für alle Zeit gezeichnet hatte, eine ung e zügelte Wut und Traurigkeit, bei dem Gedanken an ihrem Schicksal Schuld zu haben.
Natas empfand eine für ihn rätselhafte Zuneigung und glitt mit den Fingerspitzen sanft über das schreckliche Mal, als Hannah erwacht aus einem unheilvollen Traum, das Kind an sich zog und in die Arme nahm, wie es nur eine Mutter tun würde.
Der Junge fühlte in den Armen der Fremden eine nie gekan n te Geborgenheit und erwiderte ihre innige Umarmung.
„Wir müssen hier verschwinden, Hannah!“, unterbrach Wolf be-sorgt das rätselhaft emotionale Zusammentreffen der be i den.
Widerwillig löste Hannah die Umarmung, stand auf und nahm Natas an der Hand, dann nickte sie und bedeutete Wolf, ihr zu folgen. Als sie auf die belebte Hauptstraße zurückkehrten, b e merkten die drei nicht, dass sie von Erik, dem alten Obsthändler, be o bachtet wurden, der Hannah verzweifelt gesucht hatte und sie nun argwöhnisch verfolgte.
Die resolute Frau bahnte sich unnachgiebig ihren Weg durch das mittägliche Chaos in den verwinkelten Gassen der Stadt, so dass Wolf Mühe hatte, sie und den Jungen nicht aus den Augen zu verlieren. Nach einer halben Ewigkeit kamen sie in eine weniger belebte Gegend und erreichten über ein weitreichendes Netz von alten, knarrenden Holztreppen und wackeligen Stegen ihre einf a che Behausung, inmitten von Kindergeschrei, lautstarken Ause i n-andersetzungen, vollbehangenen Wäscheseilen, die gefährlich in Augenhöhe gespannt waren und ins Leere starrenden alten Mä n nern, die schweigend auf ihren wackeligen Stühlen starkem Alk o hol und übelriechendem Tabak frönten, während sie die trostl o sen Hauseingänge zu bewachen schi e nen.
Dieser Teil der Stadt, weit entfernt von dem glorreichen Glanze Elderwalls, war den Menschen der untersten Schichten vorbeha l ten, die größtenteils aus umliegenden Städten und Dörfern vor den plündernden Horden Muriels geflohen wa r en, mit ihrem verbliebenen Hab und Gut den Weg in die vermeintliche Gebo r genheit erkauft hatten und nun ihr neues Leben in ärmlichen Unterkünften fristeten, der zwiespältigen Gnade des göttlichen Druidas vollends ausgeliefert.
Hannah zog einen grobzahnigen Schlüssel aus ihrem Rock, stec k te ihn in das rostige Schloss an der Vorderseite der sch ä bigen Holztür, stemmte sich dagegen, vernahm mit einem zufriedenen Gesichtsausdruck das kernige Knacken und schob die wide r spenstige Pforte mit aller Kraft zur Seite. Das schmerzhafte Quietschen der Angeln, jagte Natas kalte Schauer über den Rü-cken, als er in das dunkle Zimmer dahinter blickte, in dem Ha n nah verschwand, um wenig später den ungastlichen Raum mit dem hoffnungsvollen Schein mehrerer Kerzen zu erhellen.
„Was für ein finsteres Loch!“, murmelte Wolf, zog seinen Kopf ein und betrat vorsichtig den fensterlosen Raum.
Ihre Gastgeberin entzündete das noch glimmende Feuer einer kleinen Feuerstelle, über der ein großer Kessel hing. Als die Su p pe anfing leise zu brodeln und ihr angenehmer Geruch die kleine Kammer erfüllte, wähnte sich Natas, der mit seinem Begleiter an einem einfachen Holztisch Platz genommen hatte, in einer lange vermissten Geborgenheit.
Wolf hatte die Ellenbogen auf den Tisch gestützt und verbarg sein Gesicht müde zwischen seinen Händen. Er atmete lan g sam und kämpfte gegen das übermächtige Verlangen, seine Augen zu schließen.
Hannah schöpfte heiße Suppe in zwei blecherne Schalen, stellte sie vor ihre beiden Gäste und setzte sich auf die gegenüberliege n de Seite.
Unverzüglich ergriff der Junge, mit dem wohlwollenden Einve r ständnis der Köchin, seinen Löffel und schaufelte die willko m mene Speise mit ungezügeltem Heißhunger in sich hinein. Beim ersten Mal verbrannte er sich die Zunge an dem Gemüs e eintopf, hielt kurz inne, bis der Schmerz vergangen war und setzte sein Mahl dann etwas behutsamer fort.
Wolf vernahm das genüssliche Schmatzen seines Schützlings mit humorvoller Gelassenheit und legte langsam seine Hände auf die
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