An den Gestaden von Chaldewallchan - Der Atem des Drachen (German Edition)
sind e r zürnt und Sinnen nach Rache!“
„Schweigt still, alter Mann!“ Die Entschlossenheit in Wolfs Stim-me ließ die zerlumpte Kreatur zurückweichen.
„Euere sinnlosen Drohungen verängstigen nur den Jungen, der sich in meiner Obhut befindet!“
Natas vergrub sein Gesicht tief zwischen den Schultern seines Beschützers und hielt sich ängstlich die Hände vor die Augen. Wolf drehte seine beiden Dolche zwischen den Fingern und ließ sie in den Halftern unter den Achseln verschwinden.
„Ich bin weder hier, um diesen Ort zu entweihen, noch um e u ren oder den Zorn der Toten zu beschwören. Ich bin auf der Suche nach einer Frau namens Hanna, die vor vielen Jahren hier gelebt hat. Sagt euch der Name vielleicht etwas?“
Regungslos stand das bedauernswerte Wesen vor ihm und für den kleinen Moment einer Ewigkeit, beherrschte nachdenkl i ches Schweigen die zerfallenen Mauern der Ruine, bevor die Kreatur mit überraschend ruhiger Stimme anfing zu sprechen. „Wie ist euer Name?“ Erwartungsvoll erhob Willay sein Blick und starrte den Eindrin g ling konzentriert an.
„Mein Name ist Wolf und der Junge auf meinem Rücken heißt Natas!“
„Endlich! Endlich wird ihre Seele Ruhe finden, jetzt wo der g e kommen ist, mit dem das Übel begann!“ Freudig tanzte Willay vor seinen verdutzten Zuschauern umher.
„Du sprichst in Rätseln, Alter! Ist sie auch in den Flammen u m gekommen?“
„Sie war das Feuer, mein Freund! Sie hat uns alle büßen lassen, für den Schmerz, der ihr zugefügt wurde. Ihr Liebster gab ihr ein willkommenes Geschenk zum Abschied und mit roher Gewalt wurde es ihr entrissen, als sie geläutert diese sündige Welt hinter sich lassen wollte. Sie haben die Mutter sterbend zurückgelassen, ihr engelsgleiches Gesicht zur Strafe entstellt, doch sie kehrte wie-der und mit ihr das unversöhnliche Verlangen nach Verge l tung. Wie ein dunkler Racheengel breitete sie ihre Schwingen über das Freudenhaus und entfachte eine feurige Odyssee, um ihr bre n nendes Herz zu befriedigen. Nur mich hat sie verschont, um da-von zu berichten und auf die Rückkehr des Wolfes zu warten. Geht zu Erik, dem alten Gemüsehändler auf dem Marktplatz im Osten der Stadt. Dort werdet ihr sie finden!“ Wieder drehte er sich johlend im Kreis.
„Nun ist es vollbracht und meine Schuld beglichen. Ich bin frei!“
Mit einem Mal sackte der schäbige Umhang der Gestalt zusa m men und ein Schwall von Asche stob unter dem verschli s senen Saum hervor, hob sich empor und schwebte dann lautlos zu Boden. Während sich Natas starr vor Angst an Wolf klammerte, betrachtete dieser gedankenverloren die Überreste des jenseitigen Boten.
„Mutter?“, wiederholte er leise, drehte sich um und durc h schritt schweigend das staubige Trümmerfeld zurück auf die hellerleuc h tete Straße.
Schnell glitt der Junge wieder ins Reich der Träume, wo sein kindlicher Geist versuchte, die Flut der Ereignisse zu vera r beiten, die in den letzten Tagen auf ihn eingebrochen waren. Unruhig wand er sich auf dem Rücken seines Trägers, der selbst e r schöpft dagegen ankämpfte, sich nicht dem verführerischen Wunsch nach Schlaf hinzugeben.
Wie in Trance wandelte er über das kunstvoll behauene Stei n pflaster des östlichen Marktviertels, das sich im Licht des anbr e chenden Tages langsam wieder füllte. Emsige Händler öffneten die Pforten ihrer Geschäfte, aufgeregte Boten eilten an ihnen vorbei und erste Kunden flanierten neugierig durch die Straßen. Mühselig erfragte er sich den Weg durch das verwinkelte Lab y rinth von breiten Alleen, engen Gassen und versteckten Hinte r höfen. Unaufhörlich wich er den Wachen aus, die ungewöhnlich zahlreich in der näheren Umgebung des Mar k tes patrouillierten, das Gesicht tief im Kragen seines dicken Ma n tels verborgen, um sich vor der unangenehmen Kühle des Morgens und den mis s trauischen Blicken der Soldaten zu schützen.
Als der strahlende Himmelsbote fast seinen Zenit erreicht hatte, fand er, nach vielen vagen Hinweisen und ebenso vielen entmutigenden Sackgassen, endlich das mehrstöckige Sandstei n gebäude, in dem sich der Laden des Gemüsehändlers befinden sollte. Unauffällig ließ er sich im Meer der zunehmenden Me n sche n massen treiben, die sich tumultartig durch die enge Passage sch o ben, begleitet von undurchdringlichem Stimmengewirr und lau t starken Handelsabkommen.
Hannah stand an einem der äußeren Tische und sortierte Obst in die Auslagen, immer darauf bedacht, der
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