An den Gestaden von Chaldewallchan - Der Atem des Drachen (German Edition)
drängelnden Meute aus dem Wege zu gehen. Mehrmals nickte sie zur B e grüßung in die Menge und lächelte freundlich, weitab von jeglicher Hektik. Hilfsbereit packte sie die ausgesuchten Früchte zusammen und half den gestressten Käufern beim Verstauen der empfindlichen Waren. Sorgsam hatte sie ihre langen braunen Haare mit einer einf a chen Schlaufe zu einem Zopf gebunden, bis auf eine lange dichte Strähne, die das schmale Gesicht zur Hälfte verdec k te. Ihr einfaches, dunkelbraunes Kleid, aufgebauscht von dichten, we i ßen Unterröcken schwang elegant um ihre Hüften, während sie geschäftig zwischen den Tischen umherwirbelte. Einer der bre i ten Träger ihres Oberteils rutschte bei aller Hektik über die Schulter und den Ärmel des zu groß gerat e nen hellen Hemdes. Achtlos zupfte sie ihre Kleidung wieder zurecht und streifte den losen Stoff wieder an seine Platz, um gleich darauf den nächsten ungeduldigen Kunden zu bedi e nen, den sie mit einem sanften Lächeln begrüßte.
Wolf hatte sie sofort erkannt, obwohl die vielen Jahren auch ihr hübsches Gesicht nicht unangetastet gelassen und die jugendliche Reinheit vergangen war, in seinen Augen alle r dings eine reifere, unvergänglichere Schönheit beschert hatten. Lange stand er u n bemerkt da und hinderte nörgelnde Kaufleute am Weiterko m men, nur um sie zu beobachten und sich zu erinnern.
Selbst Natas, der durch die lautstarken B e schimpfungen unsanft geweckt wurde, reagierte mit schlaftrunkener Unve r ständnis auf das sture Verweilen seines Begleiters und bewegte sich nervös hin und her.
Auch Hannah bemerkte die Unruhe in der Menge, blickte u n gläubig die Straße hinunter, um den Grund der Verärg e rung zu ergründen und erschrak beim Anblick des Hinderni s ses, das so viel Unwillen hervorbrachte.
Wolf löste sich aus seiner Abwesenheit und schob sich vo r sichtig weiter durch die Menschenmassen, ohne den Blickko n takt mit Hannah zu unterbrechen, die immer noch wie erstarrt an Ort und Stelle verweilte.
„Hannah!“, rief der alte Erik aus dem Laden, „bedien die Kunden und träum nicht!“ Unbeeindruckt von der Beschwerde, ließ sie Wolf nicht aus den Augen und achtete auch nicht auf die G e schäftsleute, die anfi n gen, sich ungeduldig selbst zu bedienen und ihren Unmut dar ü ber lautstark Kund taten.
Wolf konnte aus ihrem gespannten Gesichtsausdruck keine Schlüsse ziehen, ob oder in wieweit er willkommen war, musste diese Ungewissheit aber in Kauf nehmen. Nach all den Jahren konnte er sich immer noch an die Gefühle eri n nern, die er für diese Frau empfunden hatte und war sich schmerzlich darüber bewusst, was er ihr durch seine unfre i willige Flucht angetan hatte. Mit jedem weiteren Schritt in ihre Richtung kehrte ein Teil dieser ungewöhnlichen Vertrautheit zurück, die er in ihrer Nähe ve r spürt hatte und sein Herz schlug ihm bis zum Hals. Diesen lange vergessenen Emotionen konnte er nicht mit seinen beeindr u ckenden Fähigkeiten entgegenwirken und war ihnen somit hof f nungslos ausgeli e fert.
Natas reckte sich, blickte neugierig über die Schulter seines B e gleiters, um den Grund für dessen seltsames Verhalten zu erfa h ren und entdeckte eine Frau mit langen braunen Haaren, die sie ungewöhnlich aufmerksam beobachtete. Er erwiderte lächelnd ihren durchdringenden Blick, bemerkte aber, dass sie weder ihn noch Wolf fixierte, sondern etwas, das sich hinter ihnen befand.
Auch Wolf sah, wie sich ihr Gesichtsausdruck veränderte und blieb unvermittelt stehen.
Hannah hatte mehrere, schwerbewaffnete Wachen ausg e macht, die sich ungeduldig ihren Weg durch die Masse bah n ten, allen voran ein junger Soldat, der aufgeregt in ihre Ric h tung zeigte und dessen verletztes Gesicht mit einem durc h gebluteten Verband umwickelt war.
Augenblicklich verließ sie die Ladentische mit den entgeiste r ten Kunden, die immer noch auf ihre Bedienung warteten und eilte durch die überfüllte Gasse in Richtung der beiden Neuanköm m linge.
Wolf ahnte, was die Aufregung Hannahs ausgelöst hatte und ver-mied es, sich selbst ein Bild über die Gefahr in seinem Rücken zu machen. Er und Natas blieben in der Menge unerkannt, sola n ge die Häscher noch weit genug entfernt waren.
Hannah erkämpfte sich einen Weg durch den endlosen Strom der Besucher und musste all ihr weibliches Geschick aufbri n gen, um nicht von der treibenden Masse mitgerissen zu werden. Konzen- t riert behielt sie ihr ersehntes Ziel im Auge, aber auch die Gefahr, die sich
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