An den Gestaden von Chaldewallchan - Der Atem des Drachen (German Edition)
geschloss e nen Augen das tausendfache Wehklagen jenseits der steinernen Totenmauern.
Schwer lastete die Bürde auf seiner jungen Seele und das mutige Herz schmerzte in der Brust. Er fiel auf die Knie und grub die Hände in den Staub. „Was habe ich getan?“.
Jemand legte ihm freundschaftlich die Hand auf die Schu l ter. „Hadert nicht mit euch selbst, junger Herr. Ihr habt das einzig Richtige getan. Kommt jetzt! Die Lebenden warten auf euch!“
Jonder schaute überrascht über seine Schulter und blickte u n gläubig in das sonnengegerbte Gesicht eines alten Mannes mit langen weißen Haaren und einem nicht minder gewachsenen Bart, der ihm die Zügel eines Pferdes reichte.
„Führt die Menschen weit weg von diesem verfluchten Ort, b e vor die dunklen Heerscharen auch dieses Hindernis überwinden!“
Der Druidas, von einer seltsamen Vertrautheit berührt, sah lange in die gütigen Augen des Fremden.
„Ihr sprecht wahr, alter Mann!“
Jonder richtete sich auf, nahm dankend die abgenutzten Lede r riemen des Zaumzeugs entgegen und quälte seine geschunden Knochen auf das friedliche Tier.
„Aber was ist mit euch?“, kaum saß er im Sattel, um die Frage zu stellen, hatte der Greis sich schon abgewandt und hob abwertend die Hand, während er sich langsam auf dem schmalen Pfad en t fernte. „Ach! Ich bin alt und unwichtig. Vergesst mich einfach!“, erw i derte er noch, bevor er in den länger werdenden Schatten der Abenddämmerung verschwand.
Jonder zögerte und blickte dem wunderlichen Alten noch einen kurzen Moment nachdenklich hinterher, um dann unve r mittelt dem Schimmel die Sporen zu geben und in entgegeng e setzter Richtung davon zu reiten.
Im taghellen Schein der lodernden Apokalypse, die den schwa r zen Himmel blutrot zu verbrennen schien, kehrte er der bre n nenden Stadt den Rücken und mit jedem weiteren Hufschlag seines treuen Vierbeiners versiegte auch das schreckliche Klagen der Todgeweihten.
Bald darauf erreichte er die Spitze der Flüchtlingseskorte, welche die endlose Karawane der Heimatlosen schweigsam und verloren über die weitläufige, karge Ebene führte.
„Die Götter mögen euch verzeihen, Jonder!“, murmelte einer der höheren Offiziere leise beim Eintreffen des neuen Heerführers und Siegelträgers.
„Der Geist Raphaels hat uns schon lange verlassen!“, erwiderte Jonder auf die unterschwellige Anklage, ignorierte selbstbewusst die missgünstigen Blicke und schweifte gedankenverloren über das Tal bis zu den majestätischen, wolkenverhangenen Gipfeln des Trahademgebirges, die sich schemenhaft am düsteren Hor i zont erhoben.
„Ich bezweifle, dass wir den Endlanthafen rechtzeitig erreichen werden, bevor diese wilden Bestien über uns herfallen. Wir we r den Schutz im unwegsamen Trahademhochland suchen!“
„Aber der beschwerliche Aufstieg wird noch mehr Opfer fo r dern!“, insistierte Asif, hochdekorierter Veteran der Druidas empört und schlug wütend mit der flachen Hand auf den Knauf seines Sattels.
„Er hat Recht, Hauptmann Asif! Das Tor wird nicht lange stan d halten und Borgos Bluthunde werden uns auf halbem Weg einh o len!“, versuchte ein Kamerad zu vermitteln.
„Es ist der einzige Weg und wir werden ihn gehen!“, entgegnete Jonder ruhig und hielt dem strengen Blick des alten Soldaten stand, solange bis der sich unversehens besann und demütig das Haupt senkte.
„Verzeiht meine Zweifel, Herr! Ihr tragt das Siegel des ehrwürd i gen Zacharias und mir steht es nicht zu, seine Entscheidung in Frage zu stellen!“
„Lasst die Fackeln löschen und uns die Dunkelheit nutzen!“, be-fahl der junge Heerführer dem geläuterten Widerredner und trabte dann langsam weiter in die vordersten Reihen des Geleits.
Das fahle Licht des nächtlichen Himmelsboten schimmerte g e spenstisch durch die seidige, aufklarende Wolkendecke und tauchte die unwirtliche Ebene in einen Meer wandelnder Scha t ten, als das letzte Licht gelöscht wurde und der endlose Tross seinen beschwerlichen Weg aufnahm, den heißen Atem Muriels im Nacken.
Kapitel 7
Aufbruch
I. Das Erbe der Wissenden
Der alte Binschli trottete ungeduldig auf und ab, sein abg e wetzter Flickenumhang schleifte achtlos über das sandige Ufer des re i ßenden Utras, der die gigantische, steinerne Kaverne mit seinem kraftvollen Rauschen erfüllte.
In einer alte Barke hinter ihm, mit dicken Seilen an dem befesti g ten Steg vertäut und von dem unnachgiebigen Strom hin und her
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