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An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition)

An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition)

Titel: An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Beto
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zur Kathedrale gelockt, damit ich seinen Tod sehe.»
    Zum ersten Mal seit zwei Tagen dachte sie an das, was danach geschehen war: Er hatte sie auf die Arme gehoben und durch die drängelnde Menschenmenge zur Kutsche getragen. Irgendwie hatte sie es mitbekommen; sie wusste sogar noch, dass sie hilfesuchend eine Hand auf seine Brust gelegt und gleichzeitig den Wunsch verspürt hatte, ihn zu schlagen. Als hätte sie sofort begriffen, dass er verantwortlich für ihre Anwesenheit war. In der Kutschenkabine hatte er ein Riechfläschchen aus dem Gehrock gezogen. Weshalb hatte er es bei sich gehabt, wenn nicht wegen der Vermutung, dass sie es benötigen würde? Der scharfe Gestank des Ammoniaks hatte sie jedoch nicht mehr vor der endgültigen Ohnmacht bewahrt …
    Reinmar senkte den Kopf und schob den Hut wieder in die Stirn. Nach einer Weile offenbarte er ihr wieder sein Gesicht. «Ich gebe es zu», sagte er gefasst. «Es geschah zu deinem Besten.»
    «Zu meinem Besten!», echote sie verblüfft.
    «Ich wollte, dass du zur Vernunft kommst. Du hängst etwas nach, das in einem anderen Leben geschah, verstehst du? Deine Reise …», er breitete die Arme aus. «Die war im Grunde nur ein besonders langer Traum. Ich will doch nur, dass es zwischen uns ist wie früher. Ich liebe dich, Janna.»
    Er klang ein wenig kläglich, was nicht zu seiner markanten Erscheinung passte. Sie wusste nicht, ob sie von seinem Geständnis gerührt oder abgestoßen sein sollte.
    «Ein Traum, ja», erwiderte sie langsam. Sie zuckte zusammen, als das Kapuzineräffchen von einem Ast des Tamarindenbaums neben sie auf das Geländer sprang und gackernd die Galerie entlangrannte, verfolgt von einem zweiten. «Ein schöner Traum. Aber das jetzt kommt mir wie ein grässlicher Albtraum vor. Und damit meine ich nicht den Krieg. Ich habe Arturo geliebt.»
    Während unten Reinmar die Luft einsog, sann sie dem Klang der Worte nach. Auch sie schienen nicht der Wirklichkeit zu entspringen. Ich habe dich geliebt, Arturo . Es tat so gut, sich diese Wahrheit zu gestehen. Und es tat so weh, es zu spät zu tun. Aber nein, es war nicht zu spät. Ich habe ihn geküsst. Er wusste es . Es war ein tröstlicher Gedanke, wenngleich nicht minder schmerzhaft.
    «Ich habe ihn geliebt», wiederholte sie. Ihr Verstand mahnte sie, sich nicht alles zu verbauen. Arturo war verloren. Was half es ihr, wenn sie noch Reinmar von sich stieß? Doch alles in ihr sträubte sich gegen den Gedanken, zurückzukehren in das Leben, das sie sich einst so sehr erträumt hatte. «Ich kann dich nicht heiraten.»
    Mit beiden Händen hielt er seinen Stock so fest, dass seine Knöchel weiß wurden und aussahen, als müssten sie brechen. «Du hast mich geliebt», sagte er kehlig.
    «Es tut mir leid, das sagen zu müssen.» Tat es das? «Aber das ist vorbei.»
    «Janna, Liebste.» Sein Lächeln wirkte gequält. «Der Krieg wird nicht mehr lange dauern. Dann können wir von vorne beginnen. Es ist eine Zäsur für das Land und für uns. Sei vernünftig und versuche die Zeit zu nutzen, um diese Sache zu überwinden. Betrachte es als einen vergangenen Lebensabschnitt. Viele Männer sind im Krieg gestorben. Auch für deren Frauen muss es weitergehen.»
    Diese … Sache. ¡Carajo! Ihr Leid war keine Sache, die man sich eine Weile ansah und dann wegstellte. Der Appell an die Vernunft passte so gar nicht zu ihm. Aber sie lernte ihn ja ohnehin neu kennen. Er rief noch irgendein Abschiedswort herauf, dann drehte er sich um und verschwand in den Schatten der Kolonnaden.
    Janna kehrte in ihr Zimmer zurück. Die Wirkung des Laudanums war verpufft. Auf dem Nachttischchen lockte die Messingglocke, nach Lucila zu rufen, damit sie das Fläschchen zurückbrachte. Janna legte die Finger um den Griff. Mit einem Mal fühlte sie sich stark genug, die Trauer ohne die Hilfe der Arznei zu ertragen. Ein wenig müde war sie noch; sie würde sich noch einmal kurz hinlegen und dann …
    «Doña Janna!»
    Lucila kam ins Zimmer gestürmt. Unwillkürlich fragte sich Janna, ob sie nicht doch geläutet hatte. Das Mädchen stolperte in seiner Hast, einen Knicks zu machen.
    «Ist etwas passiert?», fragte Janna.
    «Das kann man wohl sagen!» Lucila strahlte über das ganze schwarz polierte Gesicht. «Als ich oben bei der Señora Wellhorn war, habe ich mich aus dem Fenster gelehnt, um zur Festung hinaufzusehen.» Sie zappelte vor Aufregung. «Ich weiß eigentlich gar nicht, warum ich das gemacht habe. Nur so! Die Señora wollte, dass ich

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