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An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition)

An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition)

Titel: An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Beto
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lüfte, und ich wollte erst gar nicht; ich sagte, ich täte das besser am Abend, wenn es dunkel …»
    «Lucila, was hast du gesehen?»
    Sie fuchtelte mit den Armen. Ihre runden Augen glänzten. «Eine weiße Fahne! Ich habe eine weiße Fahne über den Zinnen von El Zamuro gesehen!»

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    1. Kapitel
    Die ganze Zeit hatte im Vestibül des Hauses ein Kommen und Gehen der Dienerschaft geherrscht. Plötzlich lag es still und verlassen. Stattdessen war die Straße vor dem Portal voller Leben. Janna drängte es hinaus. Das war nicht ungefährlich für eine Dame, doch hier drinnen hin und her zu marschieren, wo ihre Stiefeletten über den marmornen Boden hallten, war auch nicht auszuhalten. Irgendetwas stimmte nicht – die Tür zum Arbeitszimmer des Marqués war nur angelehnt, und der Stuhl daneben, auf dem die Marquesa so oft gesessen hatte, war verwaist. Janna ahnte den Grund für die Stille, und das war nicht nur die Kapitulation.
    Über diesem Haus lag der Tod. Und über Janna schwebte ein neuer Lebensabschnitt. Der Krieg war vorbei, die Spanier hatten kapituliert. Bis auf ein Restkontingent hatte de la Torre seine stark dezimierten Truppen abgezogen. Jannas Gedanken flogen voraus, zurück in die Weiten eines schönen Landes.
    Sie musste hinaus, musste sehen, was draußen vor sich ging. Rasch holte sie ihr Réticule, einen Sonnenhut und ein Cape, auch wenn es dafür viel zu warm war. Aber wenn man ohne Begleitung auf die Straße ging, musste man sich wappnen. Sie lief zu der riesigen Flügeltür. Gewöhnlich saß auf dem gedrechselten Brasilholzstuhl der Majordomus, um höchstselbst Besucher zu empfangen oder abzuweisen. Doch auch er kämpfte noch mit den Folgen des Krieges und litt an der Ruhr. Der Schlüssel steckte. Janna entdeckte Lucila auf der Galerie im oberen Stockwerk und winkte sie herbei. «Ich sehe mich draußen ein bisschen um. Schließ bitte hinter mir ab.» Lucila schien protestieren zu wollen, doch Janna achtete nicht weiter auf sie, zog die schwere Tür auf und schlüpfte hinaus.
    Tief atmete sie die warme, feuchte, nach Fäulnis stinkende Luft ein. Alles war besser, als die verbrauchte Luft des Hauses zu riechen, wo alle dank ihrer Gefangenschaft langsam überschnappten. Die Gendarmerie, die das Privathaus des Gouverneurs bewachte, widmete ihr keinen Blick. Hier war es ruhig, doch schon die nächste Querstraße war voller Menschen. Es war ähnlich wie am letzten Sonntag; sie alle strebten wie von Schnüren gezogen vorwärts. Janna mischte sich unter ein Grüppchen Frauen jeglichen Alters, die aufgeregt schnatterten. Weiter voraus flogen einer Kutsche, die in die andere Richtung wollte, wüste Beschimpfungen entgegen. Je näher es zur Plaza Major ging, desto mehr feine Kutschen und Sänften blockierten den Weg, weil sie anders als das Volk fort von dem Ort wollten, an dem die Sieger gewiss bald erscheinen würden. Geschrei erhob sich, als ein Kutscher mit seinem Ziemer in die Menge schlug, um seinem Gefährt den Weg zu bahnen. «Wieso stehen deren Pferde noch so gut im Futter?», schrie eine alte, ganz in Schwarz gehüllte Frau dicht neben Janna und reckte die knorrige Faust.
    «Janna!»
    Jemand packte sie am Arm. Erschrocken drehte sie sich und blickte in Reinmars Gesicht.
    «Was tust du hier?», herrschte er sie an.
    Eine seltsame Frage! Doch wohl nichts anderes als er und all die Leute hier. Bevor sie auch nur irgendein Wort sagen konnte, zerrte er sie mit sich die Straße hinauf und bog in eine Gasse ein. Sie stemmte die Fersen in den Boden. «Was soll das? Wo willst du hin?»
    Er blieb stehen, ohne sie loszulassen, und schob das Gesicht dicht vor ihres. «Zu Raúl. Bei ihm können wir für ein paar Tage unterkommen, bis sich die größte Aufregung gelegt hat, und komm mir bitte nicht damit, dass es unschicklich sei – darum schert sich jetzt wirklich niemand mehr. Ich wollte zum Gouverneurspalais, um dich zu holen.»
    «Hattest du nicht gesagt, du wolltest mir Zeit zum Nachdenken geben? Und jetzt entführst du mich regelrecht?»
    «Janna! Für jeden, den die Rebellen bei den Uriartes vorfinden, könnte es schlecht ausgehen.»
    «Wir sind doch Ausländer. Warum sollte man uns etwas tun? In Bolívars Heer haben ja sogar Deutsche mitgekämpft.»
    «Wir sollten uns nicht darauf verlassen, dass man uns deshalb wohlwollend behandelt. Krieg ist Krieg, und Freunde der Gouverneursfamilie sind im Zweifelsfall Feinde.»
    Schmerzhaft bohrten sich seine Finger in ihren Arm. Sie hegte

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