Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition)

An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition)

Titel: An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Beto
Vom Netzwerk:
einige zotige Worte schnaubte und sich trollte. Janna zerrte das Mädchen ein Stück vom Lagerfeuer und dem Gesang fort.
    «Ich habe mich gefragt, wieso ich freiwillig dort bleiben soll, wo ich nur eine Sklavin bin», rief Lucila mit ihrer kieksigen Stimme, die keinerlei Aufregung verriet. «Ihretwegen war’s ja noch auszuhalten auf La Jirara. Aber Señor Götz ist so merkwürdig geworden. Und dann bin ich abgehauen.»
    «Ist David etwa auch hier?»
    Das Mädchen schüttelte den Lockenkopf. «Der ist noch dort. Aber ich bleibe hier und kämpfe für die Freiheit.»
    Erstaunlich! Romina mochte für ein solches Leben geschaffen sein, aber dieses unbedarfte Mädchen, das fast noch ein Kind war? «Du hättest Frau Wellhorn und David nicht im Stich lassen dürfen.»
    «Haben Sie doch auch gemacht, Doña Janna.»
    «Ja.» Janna stieß einen langen Atemzug aus. «Da hast du allerdings nicht unrecht. Trotzdem …»
    «Keiner bestimmt mehr über mich. Ich bin jetzt frei.» Lucila reckte die breite Nase.
    Sie war noch zu jung, um zu begreifen, dass sie im falschen Körper steckte, um wirklich allein über sich bestimmen zu können. Nicht nur die Hautfarbe war das Problem, sondern auch das Geschlecht. «Ich wünsche dir, dass du glücklich wirst, Lucila», sagte Janna in versöhnlichem Ton. «Aber bitte pass auf dich auf.»
    «Gewiss, Doña Janna.»
    Janna ließ sie in Ruhe und wanderte am Rand des Zeltlagers entlang, um eine Stelle zu finden, wo sie sich erleichtern konnte. Danach beschloss sie, sich alsbald in das ihr zugewiesene Zelt zurückzuziehen. Wie sie bei dem Trubel würde schlafen können, war eine andere Frage. Ein kleiner Spaziergang würde ihr hoffentlich zur nötigen Bettschwere verhelfen. Sie lief ein Stück aufs Geratewohl und ließ sich dann von der kegelförmigen Spitze des nächsten Hügels locken. Dahinter erstreckte sich weithin eine Ebene. Der Mond schien so hell, dass vereinzelte Bäume scharfe Schatten warfen. Die fernen Tafelberge des Guayana-Hochlandes wirkten, als brauchte man ein Jahr, um dorthin zu gelangen. Wunder über Wunder sollte es dort geben: Wasserfälle, die über Treppen aus Jaspis in endlose Tiefen stürzten, fremdartige Tiere und Völker. Sie bedauerte, die gewaltige Schönheit dieses Landes niemals in ihrer Gänze kennenlernen zu können – es war zu groß, und ihre Möglichkeiten waren zu klein. Wie erdrückend musste es für einen Forscher wie Humboldt sein, dass selbst ein abenteuerliches und reiches Leben wie seines nicht genügte, auch nur einen Teil der Sehnsucht zu stillen? Aber sie sollte nicht klagen. Sie hatte mehr gesehen und erlebt, als es gewöhnlichen Frauen vergönnt war.

    Schließ die Augen, Mädchen. Und nun drehe langsam den Kopf. Ja, so ist es gut. Spürst du, wie der Wind gleichmäßig über deine Wangen streicht? Hörst du ihn mit beiden Ohren gleich laut rauschen? Dann weißt du, aus welcher Richtung er weht .
    Sie hörte ihn rauschen, und sie hörte Arturos Stimme in ihrem Kopf. Der Wind streichelte ihr Gesicht, brachte eine weitere betörende Erinnerung. Solange sie solche Momente in sich sammeln konnte, fühlte sie sich nicht gänzlich verlassen. In jedem Rauschen konnte sie ihre Liebe hören, wenn sie nur wollte.
    «Geh nicht weiter, catira .»
    Janna erschrak. Entrerríos’ Schwester bewegte sich lautlos wie eine Katze.
    «Es gibt hier Spinnen und Schlangen und wovor sich eine feine Dame sonst noch fürchtet. Schon gar nicht darfst du in das Maisfeld da drüben laufen. Da gibt’s nämlich …»
    «Ach, seien Sie still», unterbrach Janna sie. Gefahren in einem Maisfeld – das waren Erinnerungen, die sie mit Arturos Seele teilte; und in denen hatte die lose Zunge dieses Flintenweibs nicht das Geringste zu suchen. «Ich will mir nur die Beine vertreten.»
    «Und ich halt’s für besser, auf die herumirrende Schildkröte aufzupassen.»
    «Danke, aber Sie müssten inzwischen gemerkt haben, dass ich nicht aus Zucker bin.»
    «Lucila sagte, sie sei deine Sklavin gewesen.»
    Janna schwieg, da sie nicht wusste, ob es eine Frage oder ein Vorwurf war.
    «Bestimmt wirst du eines Tages deinen manta eigenhändig einer Sklavin um die Schulter legen müssen.»
    Aha, ein Vorwurf. «Solch ein Kleidungsstück besitze ich nicht, und ich bin auch keine Mantuana. Wenn Sie mich jetzt bitte allein lassen würden.»
    Das Flintenweib blieb. Sie musterte Janna abfällig, und die fragte sich, was gleich eine weitere spitze Bemerkung auslösen würde: ihre wohlgenährte Figur

Weitere Kostenlose Bücher