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An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition)

An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition)

Titel: An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Beto
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sie einen Gedanken gefasst, zerstob er mit dem nächsten Knall. Dort draußen tobte ein Kampf, und sie war zur Salzsäule erstarrt. Irgendwann gelang es ihr, sich zu bewegen und nach der Pistole zu greifen, die neben ihr lag. Der Tote musste sie fallen gelassen haben. Janna verstand von Feuerwaffen wenig, aber dass der Hahn gespannt und der Schuss somit noch nicht abgegeben worden war, konnte sie erkennen. Sie stopfte sie in ihr Réticule, hängte es sich an den Arm und kroch zur Rückwand des Zeltes. Gott sei Dank war sie zu müde gewesen, um ihre Stiefeletten abzulegen. Lediglich die Goldkette hatte sie noch schnell aus ihrem Handtäschchen geholt und in den Ausschnitt ihres Kleides gesteckt, da sie den diebischen Fingern der Llanera nicht traute.
    Mühselig schob sie sich unter der Zeltwand hindurch ins Freie. Es war hell; die Sonne stand bereits hoch und brannte wie gewohnt mit erbarmungsloser Hitze. Was nun? Zu ihrem Pferd laufen? Aber es war nicht gesattelt, und ohne Hilfe käme sie nicht hinauf. Sich mit der Pistole in den Kampf einmischen? Gott, sie war keine Amazone! Aber nachsehen, was da vor sich ging, das musste sie; also schlich sie um das Zelt herum.
    Stinkender Pulverdampf waberte über dem Schlachtfeld. Das Massaker war so schnell vorbei, wie es begonnen hatte. Um die erloschenen Lagerfeuer lagen die Llaneros in ihrem noch frischen Blut. Keiner schien überlebt zu haben. Einem hing der Zipfel einer republikanischen Flagge aus dem Mund, als hätte man ihm damit das Maul gestopft. Schon im Leben hatten die Schwarzhaarigen mit ihren geölten Schnurrbärten und sonnenverbrannten Gesichtern für Janna alle gleich ausgesehen, doch jetzt war es ihr unmöglich, in den erschlafften Zügen Entrerríos zu erkennen. Die spanischen Soldaten, offenbar jene aus der Festung, stapften mit müde hängenden Gewehren zwischen den Leibern hindurch und prüften, ob sie noch lebten. Janna hörte sie jetzt auch im Zelt rumoren. Es war ein wahnwitziger Zufall, dass sie hier stand und noch nicht entdeckt worden war. Was sich jeden Augenblick ändern würde.
    Ein schriller Zornesschrei schraubte sich in die erhitzten Lüfte. Es war Romina, die einen Schwall deftiger Flüche ausstieß. Quer und mit dem Gesicht nach unten lag sie auf dem Baumstamm, auf dem Janna gestern Abend gesessen hatte. Man hatte ihr die Hände im Rücken gebunden; ihre Ellbogen ruderten in der Luft wie zwei gebrochene Flügel. Ihre Pantalons hingen in den Kniekehlen. Zwischen ihren Schenkeln klebte Blut. Ein Mann hielt sie im Nacken nieder, und irgendetwas an ihm, das Janna nicht benennen konnte, verriet, dass er sich bereits über die Hilflose hergemacht hatte. Ein anderer schlug mit dem Ladestock eines Gewehrs auf ihr mageres Hinterteil, damit sie stillhielt. Wie betäubt hörte Janna die eigenartig tiefen Stimmen zwei weiterer Männer, in denen tierische Erregung vibrierte. Unschwer war die Bedeutung ihrer hastig gewechselten Worte zu erahnen – erst du oder ich oder wir beide zusammen?  –, selbst für Jannas wohlbehütete Ohren. Auch das hatte es in der Franzosenzeit gegeben, wie wohl überall auf der Welt, wenn das Töten die niedersten Instinkte in den Menschen weckte. Mit eigenen Augen gesehen hatte sie es jedoch nie.
    Dass sie aus dem Schutz der Zeltwand trat, bemerkte sie erst, als sie bereits mit gezückter Pistole einige Schritte ins Lager machte.
    «Lassen Sie die Frau gehen», sagte sie. Und fragte sich zugleich, ob sie das wirklich tat. Anscheinend befahl ihr eigener Instinkt soeben, selbst ein Flintenweib zu werden. Ihr war, als hätte sich ihre Seele von ihrem Körper gespalten, liefe neben ihm her und schüttelte über sein närrisches Verhalten den Kopf.
    Und wieder hieß es: Una catira!
    Einer nach dem anderen drehte sich um und starrte sie an. Auch die beiden, die sich über Romina hermachen wollten und schon ihre mit Patronentaschen und der Seitenwehr beschwerten Bandeliere abgeworfen hatten, damit sie nicht störten. Janna sah sich schon neben Romina auf dem Baum liegen. Doch die Überraschung, falls sie dergleichen überhaupt beabsichtigt hatte, war ihr gelungen. Hier und da bröckelten die mordlüsternen Masken, und zurück blieben müde und angeekelte Gesichter.
    «Wer sind Sie?», fragte ein Soldat. Nichts an seiner Uniform wies ihn als Höhergestellten aus. Im Arm trug er noch immer ein Gewehr mit blutigem Bajonett.
    «Janna Sievers.» Mit beiden Händen hielt sie die Pistole auf den Mann gerichtet, der mit halb

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