An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition)
oder ihr für diese Exkursion gänzlich unpassendes Empirekleid. Doch etwas anderes weckte die Aufmerksamkeit der Llanera. Janna drehte sich in die Richtung, in die Romina blickte. In der Ferne sah sie ein Licht aufblitzen und wieder verschwinden.
Auf dem Orinoco hatte sie hin und wieder den Eindruck gewonnen, die Plateaus der Tafelfelsen seien alten Burgen nachempfunden. Diese Felsformation dort hinten sah wahrhaftig zu regelmäßig aus, um natürlichen Ursprungs zu sein.
«Es ist eine spanische Festung», sagte Romina.
«Ich wusste gar nicht, dass es so nah an der Stadt noch eine Festung gibt.»
«Sie wurde von einem englischen Seefahrer gegründet, der hier in der Gegend Eldorado suchte …»
«Walter Raleigh.» Auf Rominas verwundertes Stirnrunzeln fügte Janna hinzu: «Ich habe viel über Goldsucher gelesen.» Was die Llanera wohl sagen würde, wüsste sie, was die verhätschelte Dame im Handtäschchen mit sich trug? Unwillkürlich legte Janna eine schützende Hand auf die Henkel in ihrer Ellbogenbeuge. «Was hat es mit dieser Festung auf sich?»
«Sie ist noch in spanischer Hand. De la Torre soll sich dorthin geflüchtet haben. José meinte, Bolívar hätte jetzt anderes zu tun, als diese Festung zu stürmen und ein paar Gefangene zu befreien.»
«Gefangene?»
«Kriegsgefangene. Bunte Rinder . Bedeutungslose. Jetzt komm zurück ins Lager, catira ; ich mag nicht hier herumstehen.»
Es hatte ja keinen Zweck; diese Wildkatze wurde sie nicht los. Also machte sich Janna auf den Rückweg. Sie hatte das Gefühl, an ihrer Seite liefe eine hochgewachsene Tanne, jedoch mit den Stacheln eines Kaktus. Rominas Haar roch stärker als die Bärte der Männer nach ranzigem Öl, als müsse sie beweisen, dass sie mehr als jeder andere ihrer Hosenrolle gewachsen war. An den drei Lagerfeuern war die Stimmung von gelöster Mattigkeit. Die Männer sangen nicht mehr, plapperten dafür schnell wie die sprichwörtlichen Waschweiber. Becher, Kalebassen und Zigarren gingen von Hand zu Hand, und in den langen Schnauzbärten glänzte der Schaum vergorener Getränke.
«Lassen Sie mich wenigstens hier noch eine Weile sitzen.» Janna hockte sich auf einen Felsbrocken, der aus dem Gras ragte. «Hier sind nur die Zikaden laut.»
«Meinetwegen.» Romina umrundete den Felsen, stieß mit den Stiefeln etwas an, das eine Schlange hätte sein können, sich aber als Ast erwies, und hockte sich dann breitbeinig neben sie. Ein Wachtposten mit einem Karabiner unter der Achsel schlenderte vorüber; Romina grüßte ihn grunzend. Wenn sie friedlich in die Sterne blickte und den hochmütigen Mund hielt, so wie jetzt, war sie durchaus erträglich.
Nach einiger Zeit des Schweigens siegte Jannas Neugier.
«Wie kommt es, dass Sie … so sind, wie Sie sind? Ich meine, ein …», ein Mannweib , hätte sie fast gesagt. «Eine Amazone.»
«Eine Indiofrau vom Amazonas?», fragte Romina erstaunt.
«Eine Frau, die kämpft.» Das war auch nicht der rechte Ausdruck. Die meisten Frauen kämpften, wenn auch nicht mit einem Gewehr. Janna kämpfte auf ihre Weise ebenso, wenngleich es sich die meiste Zeit anfühlte, als würde sie sich in einem Netz winden.
«Unser Vater besaß viele Rinder», begann die Llanera unvermittelt. Ihr Arm beschrieb eine weitreichende Geste, als zöge die Herde soeben vor ihren Augen durch das hohe Gras. «In einem Jahr starben sie alle. Da, wo wir herkommen, drei Tagesritte von hier, hatte der Fluss die ganze Gegend überschwemmt. Vater konnte die Rinder nicht mehr retten, denn er lag im Sterben – die Kugel eines anderen Llaneros, eines Mannes, der auf einer großen Hazienda reichen Mantuanos diente, steckte in seiner Brust. Der meinte nämlich, die drei Reitpferde unseres Vaters gehörten seinem Herrn, und wollte sie brandmarken. Er starb mit einem Messer im Bauch, und zwar wesentlich qualvoller. Ich war damals acht.» Der Schmerz dieses lange zurückliegenden Ereignisses schwang in ihrer gepressten Stimme mit. «José konnte nicht verhindern, dass man uns die Pferde wegtrieb; und es war zu spät, um die Rinder fortzuführen. Sie hatten versucht, sich auf höher gelegene Gebiete zu retten, aber das Wasser stieg ihnen trotzdem bis an die Knie. José und ich sahen von einem Boot aus zu, wie sie erst die Spitzen der Gräser abweideten, dann nach den Kälbern schrien und schließlich von Krokodilen angefallen und von Geiern zerrupft wurden. Danach gingen wir in ein Dorf voller rauer Männer wie die dort – ich wuchs auf wie ein
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